F. List. 613
wandte Natur, feurig, hochbegeistert, ein Meister der bewegten Rede, voll
tiefer und echter Leidenschaft, leicht hingerissen zu phantastischen Verirrungen.
Ein echter Reichsstädter war er im freiheitsstolzen Reutlingen aufgewachsen,
unter ewigen Händeln mit den württembergischen Schreibern; er zählte zu
jenen geborenen Kämpfern, denen das Schicksal immer neuen Hader sendet
auch wenn sie den Streit nicht suchen. Seine Mutter, seinen einzigen
Bruder sah er plötzlich sterben infolge der Roheit brutaler Beamten; und
als er dann selber einige Jahre in der geisttötenden Scheintätigkeit der
württembergischen Schreibstuben verbracht hatte, da ward sein Haß gegen
die Herrschsucht des rheinbündischen Beamtentums grenzenlos, und er setzte
sich zum Ziele seines Lebens den Bürger und Bauersmann zur Selbst-
tätigkeit zu erwecken, ihn aufzuklären über seine nächsten Interessen, die
Volkswirtschaftslehre von den Formeln des Katheders zu befreien und sie
die Sprache des Volks reden zu lassen. Schon durch die Geburt ein
Deutscher schlechtweg, gleich dem Reichsritter Stein, ging er mit seinen
kühnen Entwürfen sogleich über die Grenzen der schwäbischen Heimat hin-
aus, so daß er den verschwiegerten und verschwägerten Württembergern
bald als ein wildfremder Störenfried verdächtig wurde: eine neue Zeit
handelspolitischer Größe, dauerhafter als einst die Herrlichkeit der Hansa,
sollte dem deutschen Vaterlande tagen. Eine seltene Kunst die Massen
zu befeuern und zu erregen stand ihm zu Gebote, ein agitatorisches Talent,
dessen gleichen unsere an großen Demagogen so arme Geschichte seither
nur noch zweimal, in Robert Blum und Lassalle gesehen hat. Im April
1819 stiftete List mit mehreren Industriellen der Kleinstaaten, Miller aus
Immenstadt, Schnell aus Nürnberg, E. Weber aus Gera den Verein
deutscher Kaufleute und Fabrikanten, dem sich bald die Mehrzahl der großen
Firmen in Süd= und Mitteldeutschland anschloß, und legte rasch ent-
schlossen seine Tübinger Professur nieder, da die württembergische Regierung
das Amt eines Konsulenten des Handelsvereins als unverträglich mit der
Beamtenwürde betrachtete.
Der neue Handelsverein richtete sogleich an den Bundestag eine Bitt-
schrift um Ausführung des Art. 19, Beseitigung aller Binnenmauten und
Erlaß eines deutschen Zollgesetzes, das den Zöllen des Auslandes mit
strengen Retorsionen begegnen sollte, bis sich ganz Europa über allgemeine
Handelsfreiheit verständigt hätte — denn noch bekannte sich List, gleich
den meisten Süddeutschen jener Zeit, im Grundsatz zu den Lehren des
Freihandels. In Frankfurt abgewiesen, bestürmte sodann List die Höfe, die
Geschäftsmänner und wen nicht sonst mit seinen Gesuchen, geißelte in
seiner Zeitschrift, dem „Organ des deutschen Handels= und Gewerbstandes",
unermüdlich und unerbittlich die Gebrechen deutscher Handelspolitik. Also
hat er in rastloser Arbeit mehr als irgend einer der Zeitgenossen dazu
beigetragen, daß die Uberzeugung von der Unhaltbarkeit des Bestehenden
tief in die Nation drang. Große verwegene Träume, die erst das lebende