Nebenius' Denkschrift. 617
vom 26. Mai gingen aus von den Bedürfnissen des preußischen Staats-
haushalts, Nebenius hebt an mit der Betrachtung der Leiden des deutschen
Verkehrs. Darum steht jenen der finanzielle, diesem der staatswirtschaft-
liche Gesichtspunkt obenan. Darum wollen jene die allmähliche Erweiter-
ung des preußischen Zollwesens unter den Bedingungen, welche das In-
teresse der preußischen Finanzen vorschreibt. Nebenius hingegen fordert,
ganz im Sinne der Durchschnittsmeinung der Zeit, ein System deutscher
Bundeszölle, eine vom Bundestage abhängige Zollverwaltung. Er will
mithin genau das Gegenteil der Politik, welche den wirklichen Zollverein
geschaffen hat; der erste Schritt auf dem von Nebenius vorgeschlagenen
Wege mußte offenbar zur Aufhebung des preußischen Zollgesetzes führen,
also gerade die Grundlage des späteren Zollvereins vernichten. Der handels-
politische Kampf jener Jahre bewegte sich um die eine Frage: soll das
preußische Zollgesetz aufrecht bleiben oder nicht? Und in diesem Streite
stand Nebenius auf der Seite der Irrenden. Will man eine Deukschrift,
welche also den leitenden politischen Gedanken der preußischen Handelspolitik
bekämpft, als den bahnbrechenden Vorläufer des Zollvereins preisen, so
muß man, kraft derselben Logik, auch Großdeutsche und Kleindeutsche für
Gesinnungsgenossen erklären. Beide Parteien erstrebten bekanntlich die
deutsche Einheit, nur leider auf entgegengesetzten Wegen.
Der staatsmännische Sinn des geistvollen Badeners steht keineswegs
auf gleicher Höhe mit seiner volkswirtschaftlichen Einsicht. Er hegt wohl
Zweifel, ob Osterreich dem Zollvereine beitreten könne, zu einem sicheren
Schlusse gelangt er dennoch nicht. Noch im Jahre 1835 hat er den
Eintritt Osterreichs für möglich gehalten; dann werde der Zollverein „den
schönsten aller Märkte bilden"“. Die schwerwiegenden politischen Gründe,
welche einen solchen Gedanken für Preußen unannehmbar machten, sind
ihm niemals klar geworden. Ebensowenig will er begreifen, warum
Preußen als eine europäische Macht die Selbständigkeit seiner Zollver-
waltung unbedingt aufrecht halten mußte; er verlangt eine in der Hand
des Bundes zentralisierte Zollverwaltung, die Mautbeamten sollen allein
dem Bunde vereidigt werden. Auch bei der Erörterung von Nebenfragen
vermag er nicht immer hinauszublicken über den engen Gesichtskreis seines
heimischen Kleinstaates. So will er, mit wenigen Ausnahmen, die ge-
samte Zollerhebung allein an den Grenzen stattfinden lassen, weil, nach
der Ansicht des badischen Beamtentums, diese Einrichtung dem Grenz-
lande Baden besonderen Vorteil bringen sollte. Maassen dagegen ließ in
allen größeren preußischen Plätzen Packhöfe und Zollstellen errichten, da
ohne solche Erleichterung ein schwunghafter Speditionshandel offenbar nicht
gedeihen konnte.
Neben diesen Irrtümern der Denkschrift steht freilich eine lange
Reihe tiefdurchdachter, praktisch brauchbarer Vorschläge, doch ist kein einziger
darunter, welchen das preußische Kabinett nicht schon damals gekannt und