Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

618 II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe. 
angewendet hätte. Mit großer Klarheit entwickelt Nebenius den Satz, daß 
ohne Zollgemeinschaft die Freiheit des Verkehrs nicht möglich sei. Dieser 
Gedanke, der uns heute trivial und selbstverständlich erscheint, war der 
Diplomatie der Kleinstaaten jener Zeit völlig neu. Den Berliner Staats- 
männern war er wohl bekannt; denn nur jenen Staaten, die sich dem 
preußischen Zollsystem einfügen wollten, hatte Preußen freien Verkehr 
angeboten. Ebenso tief durchdacht waren die Grundzüge des Zolltarifs, 
welche Nebenius entwarf. Er will mäßige Finanzzölle, namentlich auf die 
Gegenstände allgemeinen Gebrauchs, auf die Kolonialwaren, legen; die dem 
heimischen Gewerbfleiß notwendigen Rohstoffe gibt er frei, die Fabrik- 
waren schützt er durch Zölle, die ungefähr der üblichen Schmuggelprämie 
entsprechen; feindselige Schritte des Auslandes sollen mit Repressalien er- 
widert werden. Treffliche Gedanken, ohne Frage; aber als Nebenius schrieb, 
war bereits der preußische Tarif veröffentlicht, der durchaus auf denselben 
Grundsätzen beruhte. Selbständiges Nachdenken hatte den Süddeutschen 
genau auf dieselben staatswirtschaftlichen Ideen geführt, welche Eichhorn 
oftmals als den Eckstein des preußischen Systems bezeichnete: „Freiheit, 
Reziprozität, Ausschließung der Prohibition.“ War es nicht ein seltsames 
Zeichen der allgemeinen Unklarheit jener Tage, daß ein so ungewöhnlicher 
Geist so dicht heranstreifte an die Ideen des preußischen Zollsystems und 
doch nicht einmal die Frage aufwarf, ob nicht der Bau der deutschen 
Handelseinheit auf dem festen Grunde dieses Systems aufgerichtet werden 
solle? — Nebenius stellt ferner den Grundsatz auf, daß die Verteilung 
der Zolleinnahmen nach der Kopfzahl der Bevölkerung erfolgen solle. Aber 
als seine Denkschrift in Berlin bekannt wurde, da hatte Preußen denselben 
folgenschweren Gedanken schon in einem Staatsvertrage praktisch durchge- 
setzt. Er erörtert sodann, die Zollgemeinschaft sei unmöglich, wenn nicht 
auch der innere Konsum nach gleichen Grundsätzen besteuert werde; bis 
dies Ziel erreicht sei, müsse man sich mit Ubergangsabgaben behelfen. 
Auch diese Einsicht bestand in Berlin schon längst; eben weil Eichhorn 
und Maassen die weit abweichenden Steuersysteme der Nachbarstaaten 
kannten, wollten sie nicht zu einer vorschnellen Einigung die Hand bieten. 
Sie wußten desgleichen so gut wie Nebenius, daß es genüge einen Zoll- 
vertrag für einige Jahre abzuschließen; gleich ihm hofften sie zuversichtlich, 
der unermeßliche Segen der Verkehrsfreiheit werde die Wiederaufhebung 
eines einmal geschlossenen Zollvereins verhindern. 
Wenn der deutsche Durchschnittsbiograph über den Charakter seines 
Helden nicht viel zu berichten weiß, dann pflegt er stets die anspruchslose 
Bescheidenheit des Mannes zu preisen. Diese Phrase ist bereits aufge- 
nommen in das Zeremoniell der historischen Kunst, sie kehrt ebenso un- 
vermeidlich wieder, wie die anmutige Behauptung, daß jeder große Plebejer 
von armen aber ehrlichen Eltern abstamme. Auch Nebenius ist mit 
solchem Lobe überschüttet worden. Wer mit ihm Staatsgeschäfte zu ver-
	        
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