622 II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe.
entworfen; er stellte sie, da er die Schwierigkeit des Unternehmens richtig
würdigte, dem unberechenbaren Gange der Ereignisse anheim. Die Frage,
ob Preußens Zollschranken dereinst am Main oder am Bodensee stehen
würden, war im Jahr 1819 noch nicht praktisch; sie konnte den Leiter der
preußisch-deutschen Politik vielleicht in seinen Träumen, sie durfte ihn
nicht bei seiner Arbeit beschäftigen. Nur das Eine war ihm sicher, daß
das neue Zollsystem aufrecht bleiben, den festen Kern bilden müsse für
die Neugestaltung des deutschen Verkehrs. Er verlangte freie Hand für
Preußens Handelspolitik, wies von diesem Gebiete die Einmischung Oster-
reichs entschieden zurück. Aber jede Feindseligkeit gegen die Hofburg lag
ihm fern; der Gedanke, den Deutschen Bund von Osterreich abzutrennen,
blieb ihm, dem Konservativen, der in den Ideen von 1813 lebte, völlig
fremd. Noch als Greis hat er Radowitzs Unionspläne als unausführ-
bare Träume bekämpft. —
Einen widerwärtigen Ubelstand, der sofort beseitigt werden mußte, bot
die Lage der zahlreichen Enklaven. Die Zollinien wurden alsbald soweit
vorgeschoben, daß sie die anhaltischen Herzogtümer fast ganz und auch einen
Teil der kleinen thüringischen Gebiete, die mit Preußen im Gemenge lagen,
umfaßten. Alle nach diesen Ländern eingeführten Waren unterlagen ohne
weiteres den preußischen Einfuhrzöllen. Erst nachdem die neue Grenz-
bewachung in Kraft getreten, ließ Eichhorn, zu Anfang 1819, diesen Staaten
die Einladung zugehen, mit dem Berliner Kabinett wegen des Zollwesens
zu verhandeln. Der König sei bereit, nach billiger Ubereinkunft den Landes-
herren der eingeschlossenen Gebiete das Einkommen zu überweisen, das seinen
Staats-Kassen aus den Enklaven zufließe. Dies kurz angebundene Ver-
fahren, das in den Papieren des Finanzministeriums als „unser Enklaven-
system“ bezeichnet ward, mußte allerdings die kleinen Höfe befremden; doch
die Notwendigkeit gebot, diesen Nachbarn zu zeigen, daß sie in ihrer Hau-
delspolitik von Preußen abhängig seien. Nur gutmütige Schwäche konnte
das Gelingen der großen Zollreform abhängen lassen von der voraus-
gehenden Zustimmung eines Dutzends kleiner Herren, die nach deutscher
Fürstenweise allein für die Beredsamkeit vollendeter Tatsachen empfänglich
waren. Lediglich die Eitelkeit der Nachbarfürsten ward gekränkt; den wirt-
schaftlichen Interessen der Enklaven gereichte Preußens Vorgehen offenbar
zum Segen. Eine selbständige Handelspolitik blieb in diesen armseligen
Gebietstrümmern ja doch undenkbar. Das Gedeihen ihrer Volkswirtschaft
wurde sofort vernichtet, wenn Preußen sie von seinem Zollsystem aus-
schloß und sie mit seinen Schlagbäumen rings umstellte; auch der Handel
innerhalb der Provinz Sachsen erlitt ärgerliche Störung, wenn alle durch
das Anhaltische oder das Schwarzburgische gehende Waren verbleit
und der Kontrolle der Zollämter unterworfen werden mußten. Ebenso
wenig durfte Preußen den Verkehr der Enklaven völlig unbeaussichtigt lassen.
Was diese Ländchen selbst an Zolleinkünften aufbrachten, bildete freilich