632 E. M. Arndt und Wrede.
tat nur was sich von selbst verstand; denn wer für eine ehrenrührige Behauptung nicht
selber vor Gericht den Beweis der Wahrheit erbringt, muß ohne weiteres der Verleum—
dung schuldig erklärt werden. Für den Historiker aber, den die Formen des Strafpro-
zesses nicht binden, war dies Urteil wertlos.
Arndt selbst hielt die Wahrheit seiner Erzählung unerschütterlich aufrecht und stellte
im Verlaufe des langen Zeitungsstreites, der sich an jenen Prozeß anknüpfte, einmal die
Vermutung auf: die Tat Wredes möge vielleicht gegen Ende Februar 1807 geschehen
sein, da um diese Zeit, nach neueren Mitteilungen aus Schlesien, bayrische Truppen in
Ols arg gehaust hätten. Diese hingeworfene Vermutung benutzte nun ein bayrischer
Offizier (angeblich Major Ehrhard) um in einer anonymen Schrift (Die Beschuldigung
Wredes durch E. M. Arndt. München 1860) die Schuldlosigkeit seines Helden zu erweisen.
Er wies nach, daß allerdings die Division Wrede am 23. Februar 1807, auf dem Durch-
marsch nach Polen, durch Ols gekommen ist, Wrede selbst aber zur selben Zeit noch
krank in Bayern lag. Auch hiermit war die Erzählung Arndts offenbar noch nicht
widerlegt. Denn da über den Zeitpunkt des Raubes nur unerwiesene Vermutungen
aufgestellt wurden, so blieb die Möglichkeit offen, daß Wrede die Tat etwas später im
Jahre 1807 begangen hätte. Wrede hat sich nachweislich zweimal während jenes Jahres
in Schlesien aufgehalten. Zuerst zu Ende März, als er, von seiner Krankheit genesen,
der Armee nachreiste; nach den Aufzeichnungen eines Zeitgenossen, die sich in der Breslauer
Stadtbibliothek befinden, ist er am 26. März in Breslau eingetroffen. Sodann lag er
nach dem Tilsiter Frieden bis zum 2. Dezbr. mehrere Monate lang mit seinen Truppen
in Schlesien, und da die Franzosen und ihre Bundesgenossen während jener friedlichen
Okkupation bekanntlich fast eben so übermütig auftraten, wie vorher im Kriege, so konnte
der Raub auch wohl in dieser Zeit sich ereignet haben. Arndt ließ sich daher durch die
mangelhaften Argumente der Ehrhardschen Schrift nicht beirren; er meinte auf sein
gutes Gedächtnis bauen zu können und wiederholte seine Erzählung in den späteren Auf-
lagen der „Wanderungen“ unverändert. Wie ich meinen geliebten alten Lehrer kannte,
hielt ich es für unzweifelhaft, daß er seine guten Gründe gehabt haben mußte, einen so
lebhaft bestrittenen Bericht so entschieden festzuhalten, und trug mithin kein Bedenken,
in einer beiläufigen Bemerkung dieses Buches die Erzählung Arndts als unanfechtbar
zu erwähnen.
Inzwischen hat der bayrische Generalmajor Heilmann eine Biographie Wredes
herausgegeben, ein lehrreiches, dankenswertes Buch, das freilich einen erfreulicheren
Eindruck hinterlassen würde, wenn der Verfasser nicht versucht hätte, einen vaterlandslosen
tapferen Landsknecht mit unseren nationalen Helden, mit Scharnhorst, Blücher, Gneisenau
in eine Reihe zu stellen. General Heilmann geht auf diese Episode aus dem Leben
seines Helden ausführlich ein, bringt aber nichts Neues bei, sondern wiederholt einfach
die Behauptungen Ehrhards; er nimmt, ohne irgend einen Grund dafür aufzuführen,
kurzweg an, daß der Raub zwischen dem 23. Februar und dem 8. März geschehen sein
müsse, und erweist dann ohne Mühe das Alibi Wredes. Die Lücken dieser seltsamen
Beweisführung verdeckt er sodann, indem er über den alten Arndt eine Fülle schmückender
Beiwörter ausschüttet, welche mit den landesüblichen Formen wissenschaftlicher Polemik
wenig gemein haben. Wenn Arndt ein in Fragen der historischen Wahrheit sorgloser,
in seinen Vorurteilen leichtgläubiger, eigensinniger alter Mann genannt wird, dem
„seine politischen Gehilfen noch vollends den Kopf verdreht“ hätten, so habe ich nichts da-
wider einzuwenden, daß auch ich mit einigen mehr kräftigen als anmutigen Ausdrücken
beehrt werde.
Als ich kürzlich eine neue Ausgabe des ersten Bandes vorbereitete, unterwarf ich
natürlich alle von der Kritik angefochtenen Stellen einer neuen Prüfung, so auch jene
Bemerkung über Wrede. Das Heilmannsche Buch gab mir keine genügende Auskunft;
ich entschloß mich daher selber zu tun, was der Biograph Wredes leider unterlassen
hatte, und hielt in Schlesien Nachfrage. Nachdem ich an verschiedenen Stellen vergeblich