74 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
Savigny und Boeckh, und drang in die Traumwelt der Naturphilosophie
tiefer ein als irgend einer der Fachgelehrten. Wie Schelling trotzte er
auf die angeborene Wundergabe der unmittelbaren Anschauung, die man
weder lehren noch ersitzen könne; durch sie dachte er jene Natursprache zu
enträtseln, welche sich bei allen Völkern in geheimnisvollen religiösen Sym—
bolen äußere, und also ein Band der Einheit zwischen den Mythen aller
Zeiten zu finden. Seine Symbolik bot eine Fülle geistreicher Winke für künf-
tige Forschungen; selbst die Theologen mußten ihm danken, weil er sie auf
die Bedeutung der vergessenen Neuplatoniker hinwies. Er erriet zuerst,
welch eine Welt des Elends und des Grauens hinter den schönen Mythen
des Altertums verborgen liegt, und versenkte sich mit solchem Eifer in
diese unheimlichen Mysterien, daß ihm von der hellen Weltfreudigkeit, dem
vorherrschenden Charakterzuge des griechischen Volksglaubens, wenig mehr
übrig blieb. Auch bemerkte er zuerst die Spuren altorientalischer Priester-
weisheit in den Anfängen der hellenischen Kultur; doch die luftige Brücke
zwischen dem Morgenlande und dem Abendlande ward aufgerichtet bevor
noch der Boden auf beiden Ufern untersucht und befestigt war. Trotz
seiner reichen Gelehrsamkeit gelangte der geistvolle Enthusiast nirgends zu
gesicherten Ergebnissen, weil er mit vorgefaßter Meinung an die histori-
schen Tatsachen herantrat; am liebsten verweilte er bei den Pelasgern
und anderen unbekannten Urvölkern, hier fand die genialische Willkür
der unmittelbaren Anschauung offenes Feld.
Durch den Mystizismus seiner Lehre erregte er den Unwillen der
aufgeklärten Welt. Zunächst bekämpfte Gottfried Hermann die Symbolik
mit seiner gewohnten würdigen Ruhe; nachher erhob sich der greise Jo-
hann Heinrich Voß, und sein grimmiger Schlachtruf klang wie eine
Stimme aus dem Grabe. Wie wunderbar schnell hatte dieses Geschlecht
gelebt, wie fern lag schon die Zeit, da einst die Vossische Homer-Über-
setzung mit vollem Recht als eine bahnbrechende Tat gefeiert ward! Alle
die neuen Ideen, welche seitdem dem deutschen Genius entstiegen, waren
an dem eingefleischten alten Rationalisten spurlos vorübergerauscht. Seine
Bildung wurzelte noch in der Wolffischen Philosophie, die mit dem Satze
vom zureichenden Grunde das All zu begreifen dachte. Schon gegen
Herder und Wolf hatte er sich ereifert; ja selbst bei Kant ward ihm nicht
ganz geheuer, da der Königsberger Weise doch dem ahnenden Glauben
sein gutes Recht ließ und gelassen zugab, daß die wissenschaftliche Welt-
erklärung am letzten Ende nichts erklärt. Nun gar in Heidelberg, in-
mitten der romantischen Schwärmer fühlte sich dieser hausbackene Ver-
stand wie verraten und verkauft. All das Gerede von den unbewußt
schaffenden Kräften des Volksgeistes war ihm eitel Phantasterei; und wer
durfte ihm von Dogmen und Symbolen sprechen, da doch erwiesenermaßen
die Moral allein den Kern aller Religion enthielt? Er ließ sich's nicht
nehmen, daß Deutschland durch eine große Verschwörung von Pfaffen