Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Naturphilosophische Träume. 79 
in dies Traumleben. Den alternden preußischen Staatskanzler lockte der 
gewandte jüdische Arzt Koreff in die Netze des Mesmerismus, aber auch 
Wangenheim, der Führer der Liberalen am Bundestage, stand unter den 
Hohenpriestern der Naturphilosophie. Doch überwog der Rationalismus 
in der liberalen Welt; die Mehrzahl seiner Jünger fand der Wunder- 
glaube in den Reihen der konservativen Parteien. Auch in Frankreich 
zählten die beiden eifrigsten Apostel des Somnambulismus, Bergasse und 
Puysegur zu den Heißspornen der Legitimität. Die akademischen Lehr- 
körper konnten das Mißtrauen gegen die phantastische Willkür der Natur- 
philosophen niemals ganz überwinden; die Berliner Universität weigerte 
sich hartnäckig den geistreichen Schwärmer Steffens zu berufen, und zum 
ersten Male entbrannte ein ernster Streit zwischen der Staatsgewalt und 
der jungen Hochschule, als Hardenberg durch ein Machtgebot seine Günst- 
linge Koreff und Wohlfart zu ordentlichen Professoren ernannte. Ganz 
unbekümmert um den Beifall der großen Welt ging indessen Heinrich 
Schubert seinen bescheidenen Gang, der liebenswürdigste und harmloseste 
der philosophischen Naturforscher, altväterisch fromm wie es daheim im 
Pfarrhause des Erzgebirges der Brauch war, ein ehrwürdiges Vorbild 
christlicher Liebe und Duldsamkeit; wenn er in seiner sinnigen gemüt- 
vollen Weise von der Symbolik des Traumes und den Nachtseiten der 
Naturwissenschaft sprach, dann erbauten sich die Stillen im Lande. 
Wie ein Berggipfel ragte aus dem Nebelmeere der romantischen 
Naturwissenschaft Alexander von Humboldt empor; ihn bestrahlte schon die 
Sonne eines neuen Tages. Bereits in seinen Jugendjahren war er, der 
Zeit weit vorauseilend, ganz aus eigner Kraft von der ästhetischen zur 
wissenschaftlichen Weltanschauung vorgeschritten. Die treue Sorgfalt der 
induktiven Forschung, die der Naturwissenschaft ganz abhanden gekommen 
war und den Historikern erst durch Savigny und Niebuhr wieder ge- 
wonnen wurde, lag diesem Manne im Blute. Sein Drang nach objek- 
tiver Erkenntnis ließ von jeher schlechterdings nur die Tatsachen gelten, 
schied das Erwiesene streng von dem Vermuteten ab, und nichts verletzte 
ihn tiefer als jener Dünkel der Spekulation, der niemals seine Unkenntnis 
eingestehen, niemals bescheiden eine Erscheinung unerklärt lassen wollte. 
Darum erschien er in den Kreisen der ästhetischen Idealisten, wo man die 
Wirklichkeit als eine lästige Schranke des freien Geistes verachtete, zuerst 
wie ein Fremdling aus einer anderen Welt. Schiller hielt den Bruder 
seines geliebten Wilhelm für einen ideenlosen Sammler und klagte: dieser 
nackte, schneidende, von der Einbildungskraft ganz verlassene Verstand wolle 
die Natur schamlos ausgemessen haben. Seitdem hatten die Deutschen 
längst erfahren, welche Macht der Phantasie in diesem Genius des empi- 
rischen Wissens lebte; sie vermaß sich freilich nicht, den Gang der Forschung 
meisternd vorherzubestimmen, aber sie verband die tausend und tausend 
sorgsam erforschten Einzelheiten zur lebendigen Einheit, und mit brüderlichem
	        
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