82 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
wissenschaftlicher Länderbeschreibung. Hier zeigte er zuerst den geognostischen
Unterschied der beiden Erdhälften, lehrte zuerst Länderprofile zu zeichnen
und die mittlere Höhe der Kontinente zu bestimmen und bewies den
überraschten Lesern, wie niedrig die Gebirge sind im Vergleich mit der
Gesamterhebung des festen Landes. Er schuf die Lehre der Pflanzen—
geographie und öffnete durch die Auffindung der Isothermen (1817) den
Weg für die neue Wissenschaft der Meteorologie. Im Entdecken und
Erfinden kamen ihm einzelne seiner Pariser Freunde gleich; doch keiner
beherrschte einen so weiten Gesichtskreis. Derselbe Mann, der die Fach—
genossen durch die peinliche Genauigkeit seiner barometrischen Höhenmes—
sungen in Erstaunen setzte, gab den Historikern zuerst eine Vorstellung
von der Kultur der Urvölker Amerikas, ein klares Bild von der spanischen
Kolonialpolitik, und beschämte, gleichwie Boeckh, die Nationalökonomen durch
ein Meisterstück der vergleichenden Statistik, die Untersuchungen über den
vorhandenen Vorrat an edlen Metallen. Durch Humboldts Vorbild
und persönliche Belehrung empfing auch Ritter die ersten Aufschlüsse über
die eigentliche Aufgabe der Geographie.
Gleich Humboldt hatte sich sein Landsmann Leopold von Buch in dem
philosophischen Rausche der Zeit die Lust und Kraft zum Beobachten
des Wirklichen gerettet: auch er ein Aristokrat, durch reichen Besitz
vor der Kleinlichkeit des deutschen Gelehrtenlebens bewahrt, und doch
so ganz anders geartet als jener glänzende Redekünstler der Pariser
Salons: ein naturwüchsiges Genie, offenherzig, derb, geradezu, ein frei-
mütiger märkischer Landjunker. In allen Bergwinkeln Europas, von
Lappland bis zu den Abruzzen war der rüstige Fußwanderer zu Hause;
die feinen Verästelungen des Hochgebirges am buchtenreichen Fjord von
Christiania standen so klar vor seinen Augen, wie die bescheidenen Sand-
hügel seines heimischen Flämings. Durch ihn und Humboldt wurde die
Geologie von Grund aus umgestaltet: sie widerlegten die neptunistische
Doktrin ihres gemeinsamen Lehrers Werner und erwiesen die vulkanische
Entstehung der höchsten Gebirge. Mit Kummer sah Geoethe, wie sein
geliebtes „poseidaonisches Reich“ also durch die „tollen Strudeleien“ des
Plutonismus zerstört wurde. Die Erdfreundschaft des Dichters wurzelte
im Gemüte. So hoch er auch über der Phantasterei des großen Haufens
der Naturphilosophen stand: es war doch seine poetische Weltanschauung,
die ihn zur Erforschung der Natur trieb. Ganz voraussetzungslos ging
er weder an die Farbenlehre noch an die Geologie heran; und wie treu
er auch jede Erscheinung der Natur beobachtete, schließlich nahm er doch
nichts als erwiesen an, was den Grundanschauungen seiner gelassenen
Lebensweisheit widersprach. Die Lehre des Plutonismus blieb ihm un-
heimlich; denn sein Gefühl verlangte, daß die Veste der Erde sich lang-
sam, ohne plötzliche Erschütterungen, aus der Lebensfeuchte herausgebildet
haben mußte.