Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

102 III. 2. Die letzten Reformen Hardenberg's. 
Und wie selten hegte der Bauer jetzt noch zu seinem Grundherrn das 
herzliche Zutrauen, das allein die Macht der Ortsobrigkeit erträglich machen 
konnte! Schon früherhin hatte sich der arme Adel des Nordostens bei den 
ewig wiederkehrenden Kriegsnöthen nur selten lange in seinem Besitz 
behauptet, und es galt schon als Merkwürdigkeit, daß noch einzelne alte 
Geschlechter, wie die Bredows im Havellande, die Brandts von Lindau in 
dem kursächsischen Brandtswinkel, seit Jahrhunderten auf ihren Stamm- 
gütern hausten. Neuerdings, seit die Rittergüter frei veräußert werden 
durften, ward der Besitzwechsel noch häufiger und die Ueberlegenheit des 
bürgerlichen Kapitals auch auf dem Lande bald bemerkbar. Zuerst die 
Amtmänner der Domänen, dann auch andere Bürgerliche siedelten sich in 
den alten Rittersitzen an; in Ostpreußen war schon jetzt die Mehrzahl 
der großen Güter in bürgerlichen Händen, hier und da regte sich auch 
schon die gewerbmäßige Güterspekulation. Mancher der neuen Besitzer 
blieb seinen Bauern ganz fremd, und war er hartherzig, so versuchte er 
sich der Ortsarmen mit jedem Mittel zu entledigen, auch wohl die kleinen 
Nachbarn, die ihm zur Last fallen konnten, auszukaufen. 
Trotzdem waren diese verschrobenen Zustände im Volke keineswegs 
unbeliebt. Der Bauer haftete zäh am alten Herkommen und fand es 
bequem, Gericht und Polizei so nahe vor der Thür zu haben; er blickte 
über manche grobe Mängel der gutsherrlichen Verwaltung gleichgiltig 
hinweg, da die Grundherrschaft jetzt nichts mehr von ihm zu fordern, 
sondern nur für ihn Lasten zu tragen hatte. Noch in den vierziger 
Jahren dankten die Bauern des brandenburgischen Provinziallandtags 
ihrem Könige aus vollem Herzen, weil er ihnen ihre alte Gemeinde- 
verfassung unangetastet gelassen habe. Der Adel andererseits betrachtete die 
Grundherrschaft als ein theures Ehrenrecht seines Standes, und es war 
nicht blos Junkerhochmuth, was aus solchen Ansichten sprach. Die Grund- 
herren durften sich rühmen, daß sie sich ihre Machtstellung auf dem 
flachen Lande durch schwere Opfer täglich neu erwarben; viele von ihnen 
empfanden wirklich den Drang nach freier gemeinnütziger Thätigkeit, der 
in der Aristokratie gesunder Völker immer lebendig ist. Mit Entrüstung 
hatten sich schon im Jahre 1809 die Stände des Mohrunger Kreises, 
voran die Grafen Dohna und Dönhoff, wider die geplante Aufhebung der 
gutsherrlichen Polizei verwahrt, weil sie es für eine unwürdige Zumuthung 
hielten, daß der Grundherr fortan unthätig von seinen Einkünften leben 
solle. Wenn der Gesetzgeber diese ehrenhafte Gesinnung auf ein richtiges 
Ziel zu lenken verstand, wenn er die Privilegien des Landadels entschlossen 
beseitigte und ihm dafür auf dem Boden des gemeinen Rechtes einen 
neuen fruchtbaren Wirkungskreis eröffnete, dann konnte das vorurtheils- 
volle Junkerthum des Nordostens dereinst noch zu einer festen Stütze der 
ländlichen Selbstverwaltung werden. 
Wie anders die Landgemeinden der westlichen Provinzen! Hier hatte
	        
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