102 III. 2. Die letzten Reformen Hardenberg's.
Und wie selten hegte der Bauer jetzt noch zu seinem Grundherrn das
herzliche Zutrauen, das allein die Macht der Ortsobrigkeit erträglich machen
konnte! Schon früherhin hatte sich der arme Adel des Nordostens bei den
ewig wiederkehrenden Kriegsnöthen nur selten lange in seinem Besitz
behauptet, und es galt schon als Merkwürdigkeit, daß noch einzelne alte
Geschlechter, wie die Bredows im Havellande, die Brandts von Lindau in
dem kursächsischen Brandtswinkel, seit Jahrhunderten auf ihren Stamm-
gütern hausten. Neuerdings, seit die Rittergüter frei veräußert werden
durften, ward der Besitzwechsel noch häufiger und die Ueberlegenheit des
bürgerlichen Kapitals auch auf dem Lande bald bemerkbar. Zuerst die
Amtmänner der Domänen, dann auch andere Bürgerliche siedelten sich in
den alten Rittersitzen an; in Ostpreußen war schon jetzt die Mehrzahl
der großen Güter in bürgerlichen Händen, hier und da regte sich auch
schon die gewerbmäßige Güterspekulation. Mancher der neuen Besitzer
blieb seinen Bauern ganz fremd, und war er hartherzig, so versuchte er
sich der Ortsarmen mit jedem Mittel zu entledigen, auch wohl die kleinen
Nachbarn, die ihm zur Last fallen konnten, auszukaufen.
Trotzdem waren diese verschrobenen Zustände im Volke keineswegs
unbeliebt. Der Bauer haftete zäh am alten Herkommen und fand es
bequem, Gericht und Polizei so nahe vor der Thür zu haben; er blickte
über manche grobe Mängel der gutsherrlichen Verwaltung gleichgiltig
hinweg, da die Grundherrschaft jetzt nichts mehr von ihm zu fordern,
sondern nur für ihn Lasten zu tragen hatte. Noch in den vierziger
Jahren dankten die Bauern des brandenburgischen Provinziallandtags
ihrem Könige aus vollem Herzen, weil er ihnen ihre alte Gemeinde-
verfassung unangetastet gelassen habe. Der Adel andererseits betrachtete die
Grundherrschaft als ein theures Ehrenrecht seines Standes, und es war
nicht blos Junkerhochmuth, was aus solchen Ansichten sprach. Die Grund-
herren durften sich rühmen, daß sie sich ihre Machtstellung auf dem
flachen Lande durch schwere Opfer täglich neu erwarben; viele von ihnen
empfanden wirklich den Drang nach freier gemeinnütziger Thätigkeit, der
in der Aristokratie gesunder Völker immer lebendig ist. Mit Entrüstung
hatten sich schon im Jahre 1809 die Stände des Mohrunger Kreises,
voran die Grafen Dohna und Dönhoff, wider die geplante Aufhebung der
gutsherrlichen Polizei verwahrt, weil sie es für eine unwürdige Zumuthung
hielten, daß der Grundherr fortan unthätig von seinen Einkünften leben
solle. Wenn der Gesetzgeber diese ehrenhafte Gesinnung auf ein richtiges
Ziel zu lenken verstand, wenn er die Privilegien des Landadels entschlossen
beseitigte und ihm dafür auf dem Boden des gemeinen Rechtes einen
neuen fruchtbaren Wirkungskreis eröffnete, dann konnte das vorurtheils-
volle Junkerthum des Nordostens dereinst noch zu einer festen Stütze der
ländlichen Selbstverwaltung werden.
Wie anders die Landgemeinden der westlichen Provinzen! Hier hatte