120 III. 2. Die letzten Reformen Hardenberg's.
tragische Schicksal beschieden war, sich selber und der Welt ein Räthsel
zu bleiben, seine Zeit zu verkennen und von ihr verkannt zu werden, eine
echt deutsche Natur, leider, der die Ueberfülle der Gedanken die Schnell-
kraft des Entschlusses lähmte, ein Fürst, fähig die höchsten Erwartungen
zu erregen und doch keiner ganz zu genügen.
Für seine wissenschaftliche Bildung war mit Umsicht gesorgt worden;
Niebuhr hatte ihn in die Staatswissenschaft, Wolzogen in die Kriegs-
geschichte eingeführt. Doch keiner seiner beiden Erzieher, weder der milde
Theolog Delbrück noch späterhin der höfische Ancillon, hatte vermocht den
eigenwilligen Sinn des Prinzen durch strenge Zucht zur Selbstbeherrschung
zu zwingen. Nicht als ob er den gemeinen Versuchungen der Höfe je
erlegen wäre: er blieb sein Lebelang nicht nur sittenstreng, sondern auch
innerlich rein, durch und durch ein Idealist, mit allen seinen Sinnen den
ewigen Gütern des Lebens zugewendet. Was ihm fehlte war die Samm-
lung des Geistes, die dem Reichbegabten am schwersten erreichbar, doch
auch für ihn die Vorbedingung alles großen Schaffens bleibt. Wie ein
Schmetterling flog sein Geist von Blume zu Blume über die weiten Auen
des idealen Genusses. Nie war er glücklicher, als wenn ihn ein „göttlicher
Sommernachtstraum“ umfing, wenn er von Hellas träumte oder von der
ewigen Stadt oder von der Einheit der allgemeinen evangelischen Kirche;
dann malte er sich die Bilder seiner Sehnsucht in glühenden Farben
aus, bis er Traum und Wirklichkeit kaum noch unterscheiden konnte. Als
er zum ersten male nach Rom kam, fühlte er sich alsbald wie daheim: so
leibhaftig hatte er die Amphitheater, die Obelisken und die Dome schon
in seinen Träumen gesehen. Einem so vielseitigen, so unstet in die Weite
schweifenden Geiste lag die Gefahr des Dilettantismus sehr nahe, und
wie so viele Dichter der romantischen Schule mehr geistreiche Kenner
waren als schöpferische Künstler, so fand auch dieser Staatsmann der
Romantik seinen Beruf mehr im Anregen neuer Gedanken als im Gestalten
und Vollbringen.
Die stärkste Kraft seiner Seele war das religiöse Gefühl. Wohl
vertraut mit der Dogmatik und der Kirchengeschichte, beugte er sich in
Demuth vor der christlichen Offenbarung. Ohne den persönlichen Verkehr
mit seinem Herrn und Heiland schien ihm das Leben des Lebens nicht
werth; wenn ihn die heilige Andacht durchschauerte, dann war es zu-
weilen, als ob der Geist seines Lieblingsbuches, des Psalters aus ihm
redete, und ein Klang von Davids Harfe tönte durch seine begeisterten
Worte. Er hoffte auf die Zeit, da der christliche Glaube die weite Erde
bezwingen und überall die eine Kirche herrschen würde, evangelisch, ohne
sichtbares Oberhaupt, aber frei und weit genug um verschiedene Bekenntnisse
zu ertragen; dann sollten die Bischöfe wieder alle auf ihren alten Sitzen
thronen und auch das altbiblische Amt der Diakonen wieder aufleben.
Nichts schien ihm hassenswürdiger als Gewissenszwang oder die Ver-