Historische Romantik des Kronprinzen. 123
ein glänzendes Gewimmel althistorischer Landschaften unter den Flügeln
des schwarzen Adlers vereinigt und gedachte diese Fülle geschichtlichen
Lebens wiederherzustellen, in jeder Landschaft des Reiches die Gliederung
der Stände neu zu beleben. Er ward nicht müde, überall in der Heimath
die Stätten großer Erinnerungen oder die Spuren alten Volksbrauchs
aufzusuchen. Bald besuchte er in den Marken die Gräber der Ascanier
oder in Quedlinburg die Wiege der Sachsenkönige, bald nahm er fürlieb
am Tische eines westphälischen Hofschulzen und freute sich der alten
unverstümmelten Cheruskersitte; mit besonderer Vorliebe verweilte er am
Rhein und in Altpreußen, in den grandiosen Hallen der gothischen Dome
und der Ordensburgen.
Neben solchen Bildern alter deutscher Herrlichkeit blieb in seinem
Herzen nur wenig Raum für die lebendige preußische Staatsgesinnung.
König Friedrich's thatenfroher Genius hatte sich den Werdegang der
deutschen Geschichte so zurechtgelegt, als ob die zwei letzten Jahrhunderte
immer nur in vergeblichen Anläufen nach einem Ziele gestrebt hätten, das
jetzt endlich, durch die schlesischen Kriege, erreicht werden sollte. Vor dem
Künstlerauge dieses jungen Prinzen dagegen gestaltete sich das Bild der
vaterländischen Vorzeit so wunderreich und prächtig, daß der Staat der
Gegenwart und die stolzen Hoffnungen der preußischen Zukunft daneben
fast verschwanden. Der Kronprinz war zuerst ein legitimer, christlicher
Fürst, dann ein Deutscher und zuletzt ein Preuße. Wohl beglückte ihn der
Gedanke, daß er dereinst als der Siebzehnte an die erlauchte Reihe von
sechzehn Kurfürsten und Königen sich anschließen sollte. Aber außer den
Befreiungskriegen hatten Preußens Annalen doch nur wenige Blätter
aufzuweisen, die er mit ungemischter Freude betrachten konnte. Im Kampfe
mit dem Erzhause Oesterreich und den verlogenen Formen der Reichs-
verfassung, im Kampfe mit der Herrschsucht zeternder Theologen, im Kampfe
mit dem Sondergeist der Landschaften und der Zuchtlosigkeit der ständischen
Libertät war dies ganz moderne, weltliche Königthum emporgestiegen. Keiner
seiner großen Ahnen stand dem Herzen dieses Enkels recht nahe. Die
Rauheit Friedrich Wilhelm's I. stieß ihn ab, und wie aufrichtig er auch
Friedrich's persönliche Größe verehrte, mit den Ideen des königlichen Frei-
geistes, der zuerst den deutschen Dualismus zu lösen gewagt, hatte der
Nachkomme doch wenig gemein, der seiner Nation nichts Schöneres zu
wünschen wußte, als die friedliche Zweiherrschaft.
Auch die beiden kräftigsten Stützen des preußischen Königthums ver-
stand er nicht ganz zu würdigen. Das Beamtenthum mit seiner gleich-
mäßigen Ordnung war ihm langweilig, den Verkehr mit den alten Ge-
heimen Räthen liebte er wenig; er urtheilte über den Formalismus des
grünen Tisches mit einer Schärfe, die er gegen die Sünden des Adels-
hochmuths nicht anwendete, und von allen Wissenschaften war ihm wohl
keine innerlich so fremd wie die Rechtswissenschaft, obwohl er den geist-