Haller. De Maistre. 127
dieselben Literatori, die auch in Deutschland schreiend und schreibend an
den Thronen rütteln. Haller scheute sich nicht, den Eidbruch offen zu
predigen: ein Eid, der den König zur Verachtung aller göttlichen und
menschlichen Gesetze verpflichtet, ist ein Scandal, eine Lästerung Gottes und
mithin unverbindlich. Zugleich sprach er nochmals aus, daß sein „gott—
gewollter“ Staat nur eine privatrechtliche Gesellschaft sein und auf alle
Kulturzwecke verzichten solle; er verwarf die allgemeine Besteuerung, die
Conscription, die Staatsschule und klagte: „so nimmt die Sekte uns zu—
gleich Eigenthum, Körper und Seele!“ Zum Schluß wendete er sich an
Europas Könige, die deutschen zumal: „Fliehet das Wort Constitution;
es ist Gift in Monarchien, darum, weil es eine demokratische Grundlage
voraussetzt, den inneren Krieg organisirt und zwei auf Leben und Tod
gegen einander kämpfende Elemente schafft.“ Nur „Land- oder Provinzial—
stände, wie die Natur sie schuf,“ ziemen der Monarchie, auf daß die Idee
der Macht durch die freie und freudige Zustimmung der unmittelbaren
Getreuen verherrlicht werde. Auch ein Hieb gegen das preußische Kron—
fideicommiß ward mit angebracht: „veräußert jene ursprünglichen Stamm-
güter, die Zierden Eures Hauses nicht.“ Vor Allem aber: „Krieg, heiligen
Krieg gegen die Sophisten, die sich selbst durch ihre Grundsätze und ihre
Verbindung von Eurem Volk gesondert haben!“ Jeder Satz schien darauf
berechnet, die Kluft zwischen den deutschen Parteien gewaltsam zu erweitern,
und in der That hat Haller zur Vergiftung unseres politischen Lebens
mehr als irgend ein anderer Publicist beigetragen.
So fanatische Grundsätze konnte der feine Sinn des Kronprinzen sich
nicht ohne Vorbehalt aneignen; die freche Anpreisung des Eidbruchs mußte
ihn abstoßen. Trotzdem erkannte er nicht, daß dieser Restaurator, der die
drei großen preußischen Bürgerpflichten, Wehrpflicht, Steuerpflicht, Schul—
pflicht, gänzlich verwarf, auch von den Lebensbedingungen des preußischen
Staates nichts ahnen konnte. Die Unterscheidung der naturgemäßen
Landstände und der demokratischen Constitutionen sagte ihm zu, und an
das Dasein der über Europa verzweigten Sophistenverschwörung glaubte er
alles Ernstes. Der Name Haller's stand eben jetzt, da er dies wüthende
Libell herausgegeben hatte, im kronprinzlichen Palaste hoch in Ehren, und
es scheint sicher, daß man in den Hofkreisen ernstlich daran dachte, den
großen Berner Patricier nach Berlin zu rufen. Da wurde zum Glück
Haller's Abfall von der protestantischen Kirche ruchbar, und nunmehr
wagte Niemand, dem Könige von der Berufung zu sprechen. Auch der
Kronprinz hätte den Restaurator jetzt nicht mehr in seiner Umgebung
geduldet, denn die evangelische Kirche blieb ihm heilig, obschon er manchen
Gedanken des Katholicismus sehr weit entgegenkam.
Noch weiter ab von der Gedankenwelt des protestantischen Nordens
lag die Schrift des Grafen de Maistre „vom Papste“, ein Buch, das
schon acht Jahre früher, vermuthlich zur Bekehrung des Czaren Alexander,