Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Der Kronprinz und Hardenberg. 129 
tadelnden Sinne genialisch heißen konnte. Auf Hardenberg's Rath wurde 
der Kronprinz schon gleich nach dem Kriege in das Staatsministerium 
eingeführt“), und da er es dort wie nachher im Staatsrathe nicht an 
feinen Bemerkungen fehlen ließ, so glaubte der bescheidene König bald 
in „seinem Fritz“ ein überlegenes staatsmännisches Talent zu entdecken, 
während er in Wahrheit selber einen ungleich schärferen politischen Blick 
besaß als der Thronfolger. Mit dem geistreichen alten Staatskanzler 
unterhielt sich der Kronprinz gern, wie er denn im geselligen Verkehr das 
schöne Vorrecht der königlichen Unparteilichkeit immer ausübte und mit 
Staatsmännern jeder Richtung, mit W. Humboldt, Schön, Niebuhr — 
wenn sie nur Geist hatten — freundschaftlich umging. Während des 
Kampfes um die Steuerreform schrieb er dem Staatskanzler einmal: 
„Und das Eine müssen Sie mir glauben, daß die Worte: Freundschaft, 
Vertrauen, Verehrung keine leeren Laute in meinem Munde sind 
— und wahrlich weiß ich keine anderen zu gebrauchen, wenn ich von 
meinem Verhältniß zu Ihnen rede.“ Im Augerblicke des Niederschreibens 
mochte er, leicht erregbar wie er war, solche Gefühle auch wirklich hegen. 
Ein festes, dauerndes Zutrauen zu dem alten Herrn, der so ganz ein 
Kind des achtzehnten Jahrhunderts war, vermochte er doch nie zu fassen. 
Der bureaukratisch-liberale Zug der Hardenbergischen Politik blieb ihm 
verdächtig, und über das anstößige häusliche Leben des Kanzlers äußerte 
er sich sehr bitter. 
Die Zusage der landständischen Verfassung erfüllte den Kronprinzen 
mit frohen Hoffnungen, da er den gestrengen alten Absolutismus immer 
nur als einen Nothbehelf betrachtet hatte. Aber — daran war ihm 
kein Zweifel — auf den wiedererweckten, ständisch gegliederten alten Land- 
tagen mußte der Adel eine mächtige Stellung behaupten, ein Stand, dessen 
Zukunft den Prinzen überhaupt lebhaft beschäftigte. In einer der wenigen 
Denkschriften, die sich von ihm aus diesen Jahren vorfinden, erörtert er 
sehr ausführlich die Frage, ob den Häuptern der reichsunmittelbaren Ge- 
schlechter der Titel „regierender Fürst“ gebühre — was er bejaht — und 
verwirft für diese Häuser den unhistorischen Namen der Standesherren, 
der nur für die privilegirten Baronate Schlesiens und der Lausitz gelten 
könne: „jetzt vorzüglich, da das ständische Wesen im Werke ist, darf keine 
Verwirrung in dem Charakter der großen Familien des Landes erzeugt 
werden.“““) Nicht minder fest stand ihm die Meinung, daß die neuen 
Provinzialstände sich an die althistorischen Territorien anschließen müßten; 
darum hieß er die altständische Bewegung der jülich-cleve-märkischen Edel- 
leute willkommen und dankte ihnen, daß sie „ihr Augenmerk dahin richteten 
dem Neuen ein bewährtes Fundament unterzulegen“. Die schwierige Frage, 
  
*) Hardenberg's Tagebuch, 28. Dec. 1815. 
*“) Separatvotum des Kronprinzen, 11. Mai 1822. 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 9
	        
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