Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

168 III. 3. Troppau und Laibach. 
nach unten hin verschoben hatten. Und wie armselig erschien daneben 
die Geschichtsweisheit Metternich's, der diesmal seine fünfte Metapher, 
den Krebs mit einer Ausdauer anwendete, als wäre er ein Specialarzt 
für Krebskrankheiten. Natürlich hatte der moralische Krebs seinen eigent- 
lichen Sitz in den Mittelklassen; nur aus den philosophischen Irrlehren 
des alten Jahrhunderts, aus den unbedachten Reformen seiner auf- 
geklärten Monarchen, aus der Ueberhebung ehrgeiziger Frevler und aus 
dem Krebsschaden der geheimen Gesellschaften war die Revolution hervor- 
gegangen. Während der Sturm der nationalen Ideen in Italien wie 
in Deutschland längst vernehmlich an den schwachen Pfeilern der Wiener 
Verträge rüttelte, behauptete Metternich alles Ernstes, das Gefühl der 
Nationalität sei aus dem Katechismus der liberalen Partei bereits gestrichen, 
die Partei erstrebe die Vernichtung aller politischen und religiösen 
Unterschiede, die völlige Entfesselung jedes einzelnen Menschen, und ihre 
beiden Fraktionen, die Niveleurs und die Doktrinäre fänden sich am Tage 
des Umsturzes stets zusammen. Inmitten solcher Leidenschaften könne 
man nicht an Reformen denken, sondern nur das Bestehende aufrecht 
halten; la stabilité nest pas Pimmobilité. So verzerrt spiegelte sich 
die Welt in den Augen des Mannes, der eben damals prahlte: „Man 
stelle mich auf die Tribüne des Capitols, und man wird mich ganz anders 
reden hören als ich in Troppau es vermag. Ich brauche weiten Raum 
und kann mich in kleinem und engem nicht zurecht finden.“ Ein gütiges 
Geschick hatte ihn in eine der fruchtbarsten Epochen der Weltgeschichte 
geführt; er aber fand die Zeit klein, weil er selbst zu klein war ihre 
Zeichen zu deuten, und klagte: „Heute bringe ich mein Leben zu, die 
morschen Gebäude zu stützen. Ich hätte im Jahre 1900 geboren werden 
und das zwanzigste Jahrhundert vor mir haben sollen!“ 
Auf das erregbare Gemüth des Czaren waren die schauerlichen Ge- 
schichtsbilder des „Glaubensbekenntnisses“ gut berechnet. Gleichwohl über- 
zeugten sie ihn nicht gänzlich. Er blieb dabei, daß ein allgemeiner Garantie- 
Vertrag nur Mißtrauen erregen und nimmermehr auf den Beitritt aller 
Mächte rechnen könne. Auf seinen Wunsch wurde der unglückliche Gedanke, 
den er einst selber zuerst angeregt, endlich aufgegeben.) — 
Nicht ohne Besorgniß schaute der Wiener Hof auf die Ergebnisse dieses 
zweiten großen Fürstenvereins zurück. Wie anders konnte er jetzt vor der Welt 
dastehen, wenn die Kühnheit statt der Schlauheit sein Ruder geführt, wenn 
er schon im Herbst auf eigene Faust die Revolution in Neapel nieder- 
geschlagen und dann, bei einiger Mäßigung, unzweifelhaft die nachträgliche 
Zustimmung der großen Mächte erhalten hätte! Der klägliche Zustand 
seines Heeres hatte ihn gezwungen, die Entscheidung zu vertagen. Wohl 
  
5. 
*) Russische Denkschrift, 17 
20. Dec. 1820. 
December; Hardenberg's und Bernstorff's Bericht
	        
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