168 III. 3. Troppau und Laibach.
nach unten hin verschoben hatten. Und wie armselig erschien daneben
die Geschichtsweisheit Metternich's, der diesmal seine fünfte Metapher,
den Krebs mit einer Ausdauer anwendete, als wäre er ein Specialarzt
für Krebskrankheiten. Natürlich hatte der moralische Krebs seinen eigent-
lichen Sitz in den Mittelklassen; nur aus den philosophischen Irrlehren
des alten Jahrhunderts, aus den unbedachten Reformen seiner auf-
geklärten Monarchen, aus der Ueberhebung ehrgeiziger Frevler und aus
dem Krebsschaden der geheimen Gesellschaften war die Revolution hervor-
gegangen. Während der Sturm der nationalen Ideen in Italien wie
in Deutschland längst vernehmlich an den schwachen Pfeilern der Wiener
Verträge rüttelte, behauptete Metternich alles Ernstes, das Gefühl der
Nationalität sei aus dem Katechismus der liberalen Partei bereits gestrichen,
die Partei erstrebe die Vernichtung aller politischen und religiösen
Unterschiede, die völlige Entfesselung jedes einzelnen Menschen, und ihre
beiden Fraktionen, die Niveleurs und die Doktrinäre fänden sich am Tage
des Umsturzes stets zusammen. Inmitten solcher Leidenschaften könne
man nicht an Reformen denken, sondern nur das Bestehende aufrecht
halten; la stabilité nest pas Pimmobilité. So verzerrt spiegelte sich
die Welt in den Augen des Mannes, der eben damals prahlte: „Man
stelle mich auf die Tribüne des Capitols, und man wird mich ganz anders
reden hören als ich in Troppau es vermag. Ich brauche weiten Raum
und kann mich in kleinem und engem nicht zurecht finden.“ Ein gütiges
Geschick hatte ihn in eine der fruchtbarsten Epochen der Weltgeschichte
geführt; er aber fand die Zeit klein, weil er selbst zu klein war ihre
Zeichen zu deuten, und klagte: „Heute bringe ich mein Leben zu, die
morschen Gebäude zu stützen. Ich hätte im Jahre 1900 geboren werden
und das zwanzigste Jahrhundert vor mir haben sollen!“
Auf das erregbare Gemüth des Czaren waren die schauerlichen Ge-
schichtsbilder des „Glaubensbekenntnisses“ gut berechnet. Gleichwohl über-
zeugten sie ihn nicht gänzlich. Er blieb dabei, daß ein allgemeiner Garantie-
Vertrag nur Mißtrauen erregen und nimmermehr auf den Beitritt aller
Mächte rechnen könne. Auf seinen Wunsch wurde der unglückliche Gedanke,
den er einst selber zuerst angeregt, endlich aufgegeben.) —
Nicht ohne Besorgniß schaute der Wiener Hof auf die Ergebnisse dieses
zweiten großen Fürstenvereins zurück. Wie anders konnte er jetzt vor der Welt
dastehen, wenn die Kühnheit statt der Schlauheit sein Ruder geführt, wenn
er schon im Herbst auf eigene Faust die Revolution in Neapel nieder-
geschlagen und dann, bei einiger Mäßigung, unzweifelhaft die nachträgliche
Zustimmung der großen Mächte erhalten hätte! Der klägliche Zustand
seines Heeres hatte ihn gezwungen, die Entscheidung zu vertagen. Wohl
5.
*) Russische Denkschrift, 17
20. Dec. 1820.
December; Hardenberg's und Bernstorff's Bericht