Romantik und Papismus. 213
Zeiten der Finsterniß, die für Licht der Wahn ausgab,“ wie Ludwig von
Baiern sagte; in den Kreisen der Eingeweihten erfreute man sich an dem
Ausspruch von Novalis, die Aufklärung habe das Licht geliebt wegen seines
mathematischen Gehorsams und wegen seiner Frechheit und pries mit dem
schwärmerischen Dichter das fromme Mittelalter, das den unendlichen
Glauben dem eingeschränkten Wissen vorzog. In der That behauptete der
unendliche Glaube auch in diesem bildungsstolzen Jahrhundert noch seine
Macht, sogar die höchsten Schichten der Gesellschaft waren dem rohen
Mirakelwahn noch keineswegs entwachsen. Unter wachsendem Zulauf
betrieb Prinz Alexander Hohenlohe in Franken seine Gebetskuren, er heilte
bereits blinde Hofdamen und gelähmte Prinzessinnen, selbst der bairische
Kronprinz glaubte einmal, daß ihn der heilige Mann von seinem Gehör—
leiden befreit habe — was sich freilich bald als ein Irrthum herausstellte
— und schrieb einem Freunde bedeutsam: „wir leben in mehrfacher Hin—
sicht in einer großen Zeit!““) Viele fromme Gemüther, die sich nach der
ursprünglichen Einheit der Christenheit zurücksehnten, wiederholten gläubig
die berühmten Verse A. W. Schlegel's:
Eins war Europa in den großen Zeiten.
Für Einen Glauben wollten Alle streiten,
Die Herzen waren Einer Lieb' erschlossen.
Sie wendeten ihre hoffenden Blicke auf den römischen Stuhl als den
Hort des allgemeinen Christenthums und bemerkten in ihrem Rausche nicht
mehr, daß die Kirche der Gegenreformation jene Kräfte der evangelischen
Freiheit, welche der mittelalterlichen Kirche noch angehörten, längst von
sich gestoßen hatte.
In der historischen Wissenschaft war die harte, einseitig protestantische
Beurtheilung des Papstthums, welche im achtzehnten Jahrhundert vor-
herrschte, zuerst durch Joh. v. Müller's Reisen der Päpste erschüttert worden.
Dies Büchlein begann nun erst seine volle Wirkung zu äußern. Walter,
Hurter, Böhmer und viele Andere aus der jungen Generation verdankten
ihm die Grundgedanken ihrer kirchenpolitischen Doktrin. Der erregbare,
von allen Strömungen der Zeit fortgerissene Historiker hatte das Buch
einst verfaßt um den Ehrgeiz Joseph's II. zu bekämpfen und dem einzigen
politischen Gedanken, den er in den proteischen Wandlungen seines Lebens
unverrückbar festhielt, der Idee des Gleichgewichts, der Verwerfung jeder
Weltherrschaft einen mächtigen Ausdruck zu geben. Er sah in den Triumphen
Gregor's VII. den Sieg des Geistes über Waffengewalt: seit jener alte,
kranke, flüchtige Papst allen abendländischen Völkern seine Seele gab und
alsdann zu den Königen sprach: bis hierher sollt Ihr herrschen! — „von
dem an war eine Freistatt wider den Zorn der Potentaten, der Altar, es
war eine Freistatt wider den Mißbrauch des geistlichen Ansehens, der
Thron, und in dem Gleichgewicht lag öffentliches Wohl.“
*) Zastrow's Bericht, 17. Juli 1821.