Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

238 III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes. 
zu beschränken, schien ihm unerläßlich. In allen seinen Reden klar, be- 
stimmt, aufrichtig, immer bereit fremde Meinungen ernsthaft anzuhören, 
war er doch völlig unfähig aus seinem engen Gedankenkreise hinauszugehen 
und maß alle politischen Dinge an den wohlerworbenen Rechten der 
märkischen Stände: „nach teutscher Verfassung kann Niemand repräsentiren, 
der eine Mediatobrigkeit hat.“ Vor seinem König erschien er nie anders 
als in Kniehosen und langen Strümpfen; einem bürgerlichen Präsidenten 
hingegen vergönnte er nur den Titel Ew. Wohlgeboren — zur namen- 
losen Entrüstung Varnhagen's und aller aufgeklärten Berliner. Mit 
Hardenberg hatte er sich schon in den napoleonischen Zeiten so gänzlich 
überworfen, daß seine Berufung wie ein Schlag ins Angesicht des Staats- 
kanzlers erschien und von allen Gegnern Hardenberg's, leider auch von 
Stein, mit Befriedigung aufgenommen wurde. Die Rechtschaffenheit und 
Arbeitskraft des alten strengen Feudalen machte ihn bald dem Monarchen 
werth; im Sommer 1822 besuchte ihn der König in Buch, seitdem stand 
sein Einfluß fest. Mit seiner Hilfe hofften die Altständischen ihr christlich 
germanisches Ideal zu verwirklichen. Als Küster in seinem Amtseifer 
jetzt noch eine Uebersicht der süddeutschen Verfassungen zur Benutzung für 
die Commission einsendete, da erwiderte Ancillon herablassend: mit solchen 
nach fremden Mustern gearbeiteten Gesetzen könne man in Preußen natür- 
lich wenig anfangen.) 
Etwas moderner, mehr altbureaukratisch als ständisch waren die 
Ansichten Wittgenstein's, Schuckmann's und Albrecht's. Die Meinung des 
liberalen Beamtenthums vertraten nur Vincke und der Merseburger 
Regierungspräsident Schönberg, Beide mit ausdauernder Tapferkeit und 
rücksichtslosem Freimuth. Im ganzen verliefen die Verhandlungen matt 
und schläfrig. Nach dem sechsjährigen Zaudern war Alles abgespannt. 
Jene feste Ueberzeugung von der inneren Nothwendigkeit des Verfassungs- 
werkes, welche Humboldt immer als die erste Voraussetzung des Gelingens 
bezeichnete, bestand längst nicht mehr. Man arbeitete nur noch, um der 
gegebenen Zusage zu genügen.) 
Sogleich der Beginn der Berathung zeigte, wie unhaltbar der Plan 
war, Provinzialstände zu schaffen ohne jede klare Vorstellung von dem 
Wann und Wie der Reichsstände. Es entstand die Frage: Sollte das 
Stückwerk, das man vorderhand in Angriff nahm, als eine Erfüllung 
des alten Versprechens gelten? Sollte das neue Gesetz in seinem Ein- 
gange an die Verordnung vom 22. Mai erinnern? Anecillon und seine 
Freunde fanden dies bedenklich; sie nahmen Anstoß an den Worten 
„Repräsentation des Volkes“, die so oft mißdeutet würden, während man 
  
*) Ancillon an Küster, 6. April 1822. 
*“) Gutachten von Schönberg, 21. April und 21. Mai, Vincke, 24. April, Ancillon, 
29. April, Schuckmann, Voß, 10. Mai, Wittgenstein, 18. Mai, Albrecht, 18. Mai 1822.
	        
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