244 III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
Stein mit seinen westphälischen Freunden forderte, unter leidenschaft—
lichen Ausfällen gegen die „zerstörende“ Richtung des Beamtenthums, daß
der Adel den ersten Stand bilde; vier Ahnen und Grundbesitz müßten
der Regel nach den Zutritt zu der Adelscorporation bedingen. Die Mehr—
heit der schlesischen Notabeln wünschte nur die adligen Rittergutsbesitzer
in den ersten Stand aufzunehmen; den bürgerlichen Rittergutsbesitzern
sollten die ständischen Rechte nur kraft besonderer königlicher Verleihung
zustehen, auf daß „verdienstlose Glückspilze“ dem ersten Stande fern
blieben. Ueberhaupt trat unter den Notabeln der Adelshochmuth der Zeit
weit härter auf als im Schooße der Commission. Die ungeheure Um-
wälzung, die sich in den Besitzverhältnissen des flachen Landes vollzogen
hatte, verbot der Commission auf solche Begehren einzugehen; man beschloß,
alle „Rittergutsbesitzer“ ohne Unterschied der Geburt in den ersten Stand
aufzunehmen. Der Begriff „Rittergut“ war freilich am Rhein ganz
unbekannt, auch im Osten so unsicher, daß die sächsischen Notabeln ihn
durch einundzwanzig verschiedene Definitionen vergeblich zu erläutern ver-
suchten. Man half aus durch Matrikeln, die in den westlichen Provinzen
„auch andere größere Landgüter“ aufuehmen sollten. Der erste Stand
war mithin eine Vertretung des Großgrundbesitzes. Auf den Vorschlag
der Commission behielt sich die Krone jedoch das Recht vor, den adligen
Besitzern großer Fideicommißgüter ein verstärites Stimmrecht zu gewähren.
Dazu in vier Provinzen ein besonderer oberster Stand für die Standes-
herren und die Domkapitel.
Der Satz „das Grundeigenthum ist Bedingung der Standschaft"
stand schon seit Hardenberg's erstem Entwurfe fest; man führte ihn jetzt
so streng durch, daß sogar die Kirche, der doch ein unbestreitbares historisches
Anrecht zur Seite stand, keine Vertretung erhielt. Auch für die Wähl-
barkeit in den Städten wurde Grundbesitz verlangt, und mit Recht zürnte
Stein über die Ausschließung der bestgebildeten Kräfte der städtischen
Bevölkerung. Die Vorliebe der historischen Romantik für den Adel und
die Klassenselbstsucht der adligen Notabeln wurden sodann handelseinig
über eine Stimmenvertheilung, welche die berechtigten Ansprüche der
Städte und der Bauern unbillig verletzte. Die Commission nahm als
Regel an, daß dem großen Grundbesitz die Hälfte, den Städten ein Drittel,
den Bauern ein Sechstel der Stimmen gebühre; nur im Westen und in
Ostpreußen sollten die unteren Stände stärker vertreten werden. Von
den 584 Stimmen der acht Landtage kamen 278 auf die Standesherren
und Ritter, 182 auf die Städte, 124 auf die Bauern. Die bescheidene
Stimmenzahl der Städte entsprach ungefähr dem Verhältniß der Kopf-
zahl, da die Städte der Monarchie im Jahre 1820 erst 3 Mill. Einwohner
umfaßten, neben 8¼ Mill. Landbewohnern. Doch sie entsprach mit nichten
der Machtstellung, welche die Bildung und die längst über das flache Land
verbreiteten Capitalkräfte der Städte in der neuen Gesellschaft behaupteten;