Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Ergebnisse der Berathung. 247 
Dagegen erhielten die Provinziallandtage ein beschränktes, aber frucht— 
bares Gebiet der Selbstverwaltung, das sie bei einiger Rührigkeit leicht 
erweitern konnten, zugewiesen: „die Communalangelegenheiten“ der Pro— 
vinzen, die Sorge für Armenwesen, Straßenbau, Irrenhäuser und andere 
gemeinnützige Anstalten, wurden ihren Beschlüssen überlassen, unter Vor— 
behalt königlicher Genehmigung. Noch weit folgenreicher aber ward die 
Zusage, daß die Reform der Kreis- und Gemeindeordnung nur unter 
Mitwirkung der Stände, für jede Provinz besonders, stattfinden solle. Das 
war der Triumph des ständischen Particularismus. Die Anhänger der 
historischen Doktrin rühmten als einen Vorzug des preußischen Verfassungs- 
planes, daß er auf „organische Entwicklung“ rechne, den Ständen selber 
den Ausbau ihrer eigenen Institutionen anheimgebe, im erfreulichen Gegen- 
satze zu dem engherzigen bureaukratischen Geiste der süddeutschen Con- 
stitutionen. Der Versuch Hardenberg's und Friese's, das gesammte Gemeinde- 
wesen der Monarchie gleichmäßig zu ordnen, hatte sich als so ganz 
verfehlt erwiesen, daß jetzt der entgegengesetzte Plan kaum noch einen 
Widerspruch in der Commission fand. Und doch berührte diese Frage die 
Grundlage des gesammten Staatslebens. Indem die Krone das Kreis- 
und Gemeindeleben acht ständischen Körperschaften preisgab, verzichtete sie 
auf ein unveräußerliches Recht der Staatsgewalt; sie ließ die ständische 
Selbstsucht schalten auf einem Gebiete, das nur durch eine die Klassen- 
interessen kraftvoll bändigende Macht mit Gerechtigkeit geordnet werden 
kann. Eine Kreisordnung, welche den Interessen der Städte und der 
Bauerschaft einigermaßen gerecht wurde, ließ sich von dem Beirath solcher 
Landstände nimmermehr erwarten. Vollends die Aufhebung der guts- 
herrlichen Polizei, diese erste Voraussetzung jeder ernstlichen Reform des 
Landgemeindewesens, war fortan unmöglich. 
Daß die Rechte der Standschaft an das christliche Bekenntniß geknüpft 
wurden, schien den Zeitgenossen selbstverständlich; nur wenige Stimmen 
unter den Notabeln (unter den schlesischen eine einzige) sprachen dawider. 
Ancillon gab sich sogar der harmlosen Hoffnung hin, die Juden würden, 
von der Standschaft ausgeschlossen, fortan seltener als bisher versuchen, 
christliche Grundherren auszuwuchern. Ueber die Zahlung von Diäten 
war alle Welt einig; die Selbstsucht der besitzenden Klassen stimmte hier 
überein mit der alten bureaukratischen Gewohnheit und mit den heiligen 
Glaubenssätzen des vulgären Liberalismus. Die Oeffentlichkeit der Ver- 
handlungen, die allerdings für Provinziallandtage nicht unbedingt noth- 
wendig ist, schien selbst einem Niebuhr und Gneisenau schreckhaft und 
gefährlich; in der Commission galt sie von Haus aus für unannehmbar, 
auch die Notabeln bestanden nicht darauf. — 
Als die Arbeit der Commission beendet war, gab ihr Haller öffentlich 
seinen Segen und verkündete — was glücklicherweise nicht zutraf —, nun- 
mehr sei die alte Begrenzung der vom Hause Brandenburg allmählich
	        
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