Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Hardenberg's letzte Tage. 249 
Köthen, mit dem ganzen Dünkel Berlinischer Allwissenheit verdammte. 
Auch in den Massen bestand viel stiller Mißmuth: die Zeiten waren zu 
schlecht, die Steuern hoch, der Erwerb kläglich. Da die auf dem Aachener 
Congresse erlangten Entschädigungsgelder nicht entfernt ausreichten, so 
hofften viele arme Leute vergeblich auf Ersatz ihrer Kriegsschäden, und 
die ärgsten Lügen fanden bei den Enttäuschten Glauben: allgemein ward 
erzählt, das Kronfideicommiß sei aus den französischen Geldern gebildet 
worden — ein Märchen, das noch heute hier und da fortspukt. Gleich— 
wohl blieb die alte Königstreue der Preußen unerschütterlich. Ein Auf— 
standsversuch, den ein westpreußischer Oberförster v. Hedemann im Sommer 
1821 unternahm, war so offenbar das Werk eines Tollkopfs, daß selbst 
am Hofe der Schrecken nicht lange anhielt. 
Im November 1822 wurde der Gedenktag der fünfundzwanzigjährigen 
Regierung Friedrich Wilhelm's fast überall mit dankbarer Freude gefeiert. 
In Berlin freilich verlief das Fest ohne besonderen Prunk, denn der König 
weilte in Italien, froh, den Huldigungen daheim entronnen zu sein. Von 
der Verfassung sprach Niemand. Nur der Historiker Friedrich v. Raumer 
wagte in akademischer Festrede vor dem Kronprinzen auszusprechen, daß 
die alte Zusage noch nicht eingelöst sei und die Provinzialstände ohne 
Reichstag einem Körper ohne Haut glichen. Seitdem begannen die aka- 
demischen Festlichkeiten der Hauptstadt eine politische Bedeutung zu er- 
langen; das Katheder rückte zuweilen an die Stelle, welche der parlamen- 
tarischen Rednerbühne gebührte. Forderungen, die sich in der Presse nicht 
herauswagen durften, wurden hier mit Freimuth geäußert, doch immer mit 
Maß und Würde; in die Niederungen der Parteileidenschaft sank die 
Berliner Universität nie hinab. Der König nahm die Festrede freundlich 
auf; das Obercensurcollegium aber, zu dessen Mitgliedern Raumer selbst 
gehörte, verweigerte seine Erlaubniß, und die Rede wurde erst ein Jahr 
später in Leipzig gedruckt. 
Mittlerweile ging es rasch abwärts mit der Lebenskraft und dem 
Ansehen des greisen Kanzlers. Seit dem Scheitern seines Verfassungs- 
planes war seine politische Rolle ausgespielt. Er wollte zwar die Hoff- 
nung noch immer nicht aufgeben und begegnete seinen Feinden, trotz Allem 
was geschehen, mit zuversichtlicher Heiterkeit. Aber von der Verfassungs- 
berathung hatte er sich selber ausgeschlossen. Das Wenige was er in seiner 
Schwäche noch arbeitete, galt der Verwaltungsreform; wenn ihm dies 
Werk noch gelinge, sagte er zu Witzleben, dann wolle er sich zurückziehen 
und nur noch die Geschäfte, welche der König ihm ausdrücklich auftrage, er- 
ledigen. In jedem bewegten Menschenleben erscheint ein Zeitpunkt, da die 
Folgen alter Fehler sich mit einem male über dem Haupte des Schuldigen 
entladen. Solche Tage mußte Hardenberg noch dicht am Rande des Grabes 
erleben. Er büßte schwer, fast allzu schwer; denn die persönlichen Schwächen 
öffentlicher Charaktere sind nur dann unverzeihlich, wenn der Staat
	        
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