Hardenberg's letzte Tage. 249
Köthen, mit dem ganzen Dünkel Berlinischer Allwissenheit verdammte.
Auch in den Massen bestand viel stiller Mißmuth: die Zeiten waren zu
schlecht, die Steuern hoch, der Erwerb kläglich. Da die auf dem Aachener
Congresse erlangten Entschädigungsgelder nicht entfernt ausreichten, so
hofften viele arme Leute vergeblich auf Ersatz ihrer Kriegsschäden, und
die ärgsten Lügen fanden bei den Enttäuschten Glauben: allgemein ward
erzählt, das Kronfideicommiß sei aus den französischen Geldern gebildet
worden — ein Märchen, das noch heute hier und da fortspukt. Gleich—
wohl blieb die alte Königstreue der Preußen unerschütterlich. Ein Auf—
standsversuch, den ein westpreußischer Oberförster v. Hedemann im Sommer
1821 unternahm, war so offenbar das Werk eines Tollkopfs, daß selbst
am Hofe der Schrecken nicht lange anhielt.
Im November 1822 wurde der Gedenktag der fünfundzwanzigjährigen
Regierung Friedrich Wilhelm's fast überall mit dankbarer Freude gefeiert.
In Berlin freilich verlief das Fest ohne besonderen Prunk, denn der König
weilte in Italien, froh, den Huldigungen daheim entronnen zu sein. Von
der Verfassung sprach Niemand. Nur der Historiker Friedrich v. Raumer
wagte in akademischer Festrede vor dem Kronprinzen auszusprechen, daß
die alte Zusage noch nicht eingelöst sei und die Provinzialstände ohne
Reichstag einem Körper ohne Haut glichen. Seitdem begannen die aka-
demischen Festlichkeiten der Hauptstadt eine politische Bedeutung zu er-
langen; das Katheder rückte zuweilen an die Stelle, welche der parlamen-
tarischen Rednerbühne gebührte. Forderungen, die sich in der Presse nicht
herauswagen durften, wurden hier mit Freimuth geäußert, doch immer mit
Maß und Würde; in die Niederungen der Parteileidenschaft sank die
Berliner Universität nie hinab. Der König nahm die Festrede freundlich
auf; das Obercensurcollegium aber, zu dessen Mitgliedern Raumer selbst
gehörte, verweigerte seine Erlaubniß, und die Rede wurde erst ein Jahr
später in Leipzig gedruckt.
Mittlerweile ging es rasch abwärts mit der Lebenskraft und dem
Ansehen des greisen Kanzlers. Seit dem Scheitern seines Verfassungs-
planes war seine politische Rolle ausgespielt. Er wollte zwar die Hoff-
nung noch immer nicht aufgeben und begegnete seinen Feinden, trotz Allem
was geschehen, mit zuversichtlicher Heiterkeit. Aber von der Verfassungs-
berathung hatte er sich selber ausgeschlossen. Das Wenige was er in seiner
Schwäche noch arbeitete, galt der Verwaltungsreform; wenn ihm dies
Werk noch gelinge, sagte er zu Witzleben, dann wolle er sich zurückziehen
und nur noch die Geschäfte, welche der König ihm ausdrücklich auftrage, er-
ledigen. In jedem bewegten Menschenleben erscheint ein Zeitpunkt, da die
Folgen alter Fehler sich mit einem male über dem Haupte des Schuldigen
entladen. Solche Tage mußte Hardenberg noch dicht am Rande des Grabes
erleben. Er büßte schwer, fast allzu schwer; denn die persönlichen Schwächen
öffentlicher Charaktere sind nur dann unverzeihlich, wenn der Staat