Kriegsgefahr im Osten. 255
bestimmt war. Einmüthig verlangten Volk und Heer eine Sühne für die
gräßliche der orientalischen Christenheit angethane Schmach; denn obwohl
dem Petersburger Hofe die förmliche Schutzherrschaft über die griechische
Kirche, die er seit dem Frieden von Kutschuk-Kainardsche in Anspruch nahm,
keineswegs zustand, so galt der weiße Czar doch allen Rajahvölkern für
das Oberhaupt der Orthodoxen, und sein eigenes Ansehen ward gefährdet,
wenn die Ermordung des Patriarchen von Konstantinopel unbestraft blieb.
Und bereits wagte die Pforte, die über die geheimen Umtriebe der russi-
schen Agenten auf der Halbinsel besser Bescheid wußte als der Czar selber,
der nordischen Nachbarmacht herausfordernd, drohend entgegenzutreten.
Den Verträgen zuwider blieben ihre Truppen, nachdem Mfsilanti's Auf-
stand niedergeworfen war, noch monatelang in den Donaufürstenthümern,
dicht an der russischen Grenze und hausten und heerten nach Türkenart;
den fremden Schiffen, die bisher unter russischer Flagge frei durch die
Dardanellen gesegelt waren, wurde der altgewohnte Verkehr plötzlich unter-
sagt, so daß der Handel Odessas schweren Schaden erlitt.
Wie oft hatte Rußland schon aus geringerem Anlaß dem Erbfeinde
den Krieg erklärt, und wie verlockend schien diesmal die Lage. Die Haupt-
macht der Osmanen war durch den griechischen Aufruhr gefesselt, das
schlechtgerüstete Oesterreich durfte Italien nicht von Truppen entblößen.
Wenn der Herrscher, der den Doppeladler von Byzanz im Wappen führte,
jetzt sein Schwert für die Sache der Hellenen in die Wagschale legte, so
konnte er wohl auf kriegerische Erfolge und, für den Anfang des Kampfes
mindestens, auch auf den jubelnden Beifall der liberalen Welt rechnen.
Alle Philhellenen hofften noch auf die Vertreibung der Ungläubigen aus
Europa, und W. Müller wünschte seinem Helden Lord Byron
Einen Fall im Siegestaumel auf den Mauern von Byzanz,
Eine Krone dir zu Füßen, auf dem Haupt der Freiheit Kranz.
Doch gerade diese Mahnungen der Liberalen schreckten den Czaren
zurück. Er hatte allem Anschein nach keine Kenntniß von der unterirdischen
Arbeit der Handlanger seines Kapodistrias und fühlte sich persönlich beleidigt,
als die Pforte ihm die Aufwiegelung ihrer christlichen Unterthanen vorwarf.
Jedes liberale Zeitungsblatt, das ihn zum heiligen Kampfe aufforderte,
bestärkte ihn nur in seinem Mißtrauen gegen den Aufruhr der Griechen;
nimmermehr wollte er seine reinen Hände durch den Bund mit der Re-
volution besudeln. Wohl kamen Augenblicke des Schwankens. Im Juli
1821 verließ der russische Gesandte Konstantinopel; er hatte Bürgschaften
gefordert für die Sicherheit des griechischen Cultus und war von Sultan
Machmud mit jenem übermüthigen Hohne abgefertigt worden, den sich die
Pforte jederzeit erlaubt sobald sie die Giaurs uneinig sieht. Eine russische
Staatsschrift forderte die Mächte auf, zu erwägen, unter welchen Bedingungen
die unchristliche Macht des Divans noch in der Gemeinschaft des euro-
päischen Völkerrechts geduldet werden könne. Der Krieg schien unver-