Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

258 III. 5. Die Großmächte und die Trias. 
Losschlagen der Russen warteten, um eine Veränderung der bairischen Ver- 
fassung durchzusetzen); und dazu immer wieder die brünstige Versicherung, 
er treibe keine österreichische Politik mehr, sondern lebe nur noch der ge- 
meinsamen heiligen Sache der europäischen Legitimität. Im Frühjahr 1822 
erschien endlich der vormalige Madrider Gesandte Tatistschew zweimal in 
Wien, um hinter dem Rücken des Gesandten Golowkin, der Oesterreichs 
Absichten durchschaute, mit Metternich zu verhandeln und die Hofburg 
durch gütliches Zureden mindestens zur Abberufung ihrer Gesandtschaft 
aus Konstantinopel zu bewegen. Tatistschew stand im Rufe großer diplo- 
matischer Gewandtheit, Metternich aber meinte höhnisch: „glücklicherweise 
bin ich ein alter Fischer.“ Und wirklich gelang es seinen sophistischen 
Künsten, nicht nur alle Zumuthungen der Russen zurückzuweisen, er beredete 
den Czaren sogar zu einer Nachgiebigkeit, die einem Sündenbekenntniß 
sehr ähnlich sah. Alexander erklärte sich bereit den diplomatischen Verkehr 
mit der Pforte wieder anzuknüpfen, obwohl der Sultan den vermittelnden 
Mächten immer nur die trotzige Antwort gab: mischt Euch nicht in unsere 
Angelegenheiten! Der Oesterreicher erleichterte dem Czaren den Rückzug, 
bot seine guten Dienste an für die Räumung der Donaufürstenthümer 
und die Herstellung des Schifffahrtsverkehrs von Odessa — eine Hilfe, 
die natürlich nicht allzu ernst gemeint war, da Metternich von dem Grund- 
satze ausging, schon die Möglichkeit eines Krieges der Kaisermächte wider 
die Pforte könne den Welttheil in Flammen setzen. Von einer Sühne 
für die Ermordung des Patriarchen war keine Rede mehr, und über eine 
Amnestie zu Gunsten der griechischen Rebellen wollten die großen Mächte 
erst noch mit dem Divan verhandeln, was nach orientalischem Brauche 
noch jahrelang währen konnte. 
Kurz, Alexander hatte seine Hand von den Christen der Balkanhalb= 
insel gänzlich abgezogen, und mit gutem Grunde grollte Rußland über 
diesen Czaren, der sich die Gelegenheit zu einem gerechten, nationalen 
Kriege so kleinmüthig entschlüpfen ließ. Mit schmetternden Fanfaren ver- 
kündete Metternich seinem Kaiser die Niederlage Rußlands, „den voll- 
ständigsten Sieg, den vielleicht je ein Cabinet über das andere davon 
getragen“. Kurz vorher hatte er einmal in einen Brief den Weisheitsspruch 
eingeflochten, die Prahlerei sei die lächerlichste aller Eigenschaften. Gewohnt 
nur auf den nächsten Tag zu rechnen, wähnte er das Werk Peter's des 
Großen und aller seiner Nachfolger bereits vernichtet zu haben und ahnte 
nicht, daß die dauernde Macht der Weltverhältnisse und der nationalen 
Leidenschaften den russischen Staat früher oder später in die Bahnen 
Katharina's zurückführen mußte. Das unerhörte Glück dieser Jahre hatte 
seinen Dünkel bereits so hoch gesteigert, daß er jeden Andersgesinnten fast 
wie einen Geisteskranken ansah; da er selber in den süßlichen Neigungen 
  
*) Bernstorff an Krusemark, 29. Sept. 1821; Krusemark's Bericht, 3. März 1822.
	        
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