Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Wangenheim's Triasträume. 285 
weil er den Titel des ersten deutschen Fürsten führte, auch im Stande sei 
zwischen Frankreich und Oesterreich den Weltfrieden zu vermitteln, und kein 
schlechterer Mann als Leibniz die Narrenstreiche dieser irenischen Politik 
verherrlichte, den Mainzer Kurfürsten als den Atlas besang, der Europas 
Schicksal auf seinen starken Schultern trage: so wurden jetzt manche wohl— 
meinende und gescheidte Männer durch Wangenheim's kleinstaatliche Groß— 
machtsträume bethört. 
Die Mittel- und Kleinstaaten besaßen eine erdrückende Mehrheit am 
Bundestage, fünfzehn unter den 17 Stimmen des engeren Rathes; und 
wenn man sich an die imaginäre Bundesgrenze hielt, welche der Wiener 
Congreß mitten durch das österreichische und preußische Gebiet gezogen hatte, 
so waren sie auch an Bevölkerung den Bundesländern jeder der beiden 
Großmächte überlegen. Wie nahe lag also die Versuchung, dies Chaos 
der troisième Allemagne zu einer Gesammtmacht zu vereinigen; wie viel 
näher noch der Gedanke, den Buchstaben des Bundesrechts zu mißbrauchen 
zur Bekämpfung der Großmächte, die sich doch nur darum mit einer so 
bescheidenen Stimmenzahl begnügt hatten, weil sie voraussetzten, daß der 
Bund sich ihrer Leitung fügen würde. Die augenblickliche Stimmung in 
der Eschenheimer Gasse bot solchen Bestrebungen einen dankbaren Boden, 
denn die Gesandten fühlten sich allesammt durch die schnöde Behandlung, 
welche der Bundestag in den Karlsbader Zeiten erfahren hatte, tief ge- 
kränkt und doch zugleich zu keckem Wagen ermuthigt, da die Großmächte 
auf den Wiener Ministerconferenzen so behutsam und nachgiebig auf- 
getreten waren. 
Mit dem ganzen Ungestüm seines Feuergeistes stürzte sich Wangen- 
heim in die Irrgänge einer Politik, die ihm recht eigentlich heilig war. 
Denn nach seiner naturphilosophischen Ueberzeugung war die Einheit in 
der Dreiheit das Gesetz alles Lebens, und wer die Anwendung dieses 
Weltgesetzes auf die deutsche Politik bestritt, konnte nur durch Herrschsucht 
und Habgier getrieben sein — welche Leidenschaften er denn auch bei 
den beiden Großmächten, insbesondere bei Preußen, kurzerhand voraus- 
setzte. Er „glühte vor Scham“, wenn er an die Karlsbader Beschlüsse 
dachte, und war als ehrlicher Liberaler entschlossen, jeden neuen Angriff 
auf das constitutionelle Leben kräftig zu bekämpfen. Die Grundlagen der 
Bundesverfassung fand er vortrefflich, da sie ja den Kleinstaaten das 
Uebergewicht gab, und noch im Jahre 1849, als der Bundestag unter 
den Verwünschungen der Nation zusammengebrochen war, vertheidigte er 
die ehrwürdige Versammlung leidenschaftlich gegen den Vorwurf der Un- 
fruchtbarkeit. Nur freilich sollte das wahre föderative Leben in diesem 
glücklichen Bunde erst erweckt werden durch eine festere wirthschaftliche, 
kirchliche, politische Einigung der Kleinen, und für diese Sonderbunds- 
politik entwarf der Unermüdliche immer neue Pläne. Tag für Tag ließ 
er seine Seifenblasen in die Luft steigen, freute sich kindlich, wenn sie
	        
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