Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Nagler. 327 
sich von Amtswegen verpflichtet, zugleich die Stimmung am Rhein und 
im Süden polizeilich zu überwachen, wobei ihm sein gewandter Secretär 
Kelchner mit uneigennützigem Amtseifer zur Hand ging. 
So bewältigte er viele Jahre hindurch mit wunderbarem Fleiße die 
Geschäfte des Generalpostmeisters, des Diplomaten, des freiwilligen Polizei— 
ministers, beständig unterwegs auf der großen Berlin-Frankfurter Land— 
straße, wo alle Posthalter stets bereit standen, ihre vier besten Rosse dem 
Gefürchteten vor seinen Extrapostwagen zu spannen — immer im Dienst, 
immer mit Arbeiten überladen; kaum daß er noch einige Wochen frei 
behielt für die Pflege seiner schönen Kunstsammlungen. Er geizte mit jeder 
Silbe, jeder Minute, schrieb seine Depeschen mit dem denkbar geringsten 
Aufwand an Worten, aber immer wirksam und das Wesentliche treffend, 
und begnügte sich in seinen Privatbriefen mit wenigen abgerissenen Sätzen, 
die in ihrer trockenen Kürze oft brutal und cynisch wurden. Als ihm 
sein treuer Kelchner einmal vorhielt, daß der verzweifelte Demagog Kombst 
sich vielleicht bei der Verhaftung selbst entleiben könnte, da antwortete Nagler 
einfach: „der Selbstmord ist seine Sache.“ 
Der bebänderte und besternte Großwürdenträger erschien den gemüth— 
lichen kleinen Leuten des Bundestags ganz unausstehlich mit seiner ab— 
sprechenden Schroffheit, mit seiner feierlichen Amtsmiene, die nur auf 
Augenblicke einer pfiffig herablassenden Freundlichkeit wich; die Frankfurter 
sahen in diesem Franken die Verkörperung alles dessen, was am nord— 
deutschen Wesen verrufen war, und unzweifelhaft hat sein langer Aufent— 
halt am Main viel dazu beigetragen, die süddeutschen Vorurtheile gegen 
das preußische Beamtenthum zu nähren. Nagler erfreute sich der beson— 
deren Gunst Metternich's und wirkte bei Allem, was die Hofburg für die 
Sicherung der Ruhe plante freudig mit. Und doch war er auf seine Weise 
ein stolzer preußischer Patriot. Nicht um Oesterreichs willen, sondern 
nach seinen eigenen starren absolutistischen Grundsätzen unterstützte er die 
Maßregeln der k. k. Bundespolizei, und niemals vergaß er, daß sein 
König, den er abgöttisch verehrte, ihm bei der Abreise nach Frankfurt ein— 
geschärft hatte, zwar das Bündniß mit Oesterreich nicht zu vernachlässigen, 
aber auch dem preußischen Staate nichts zu vergeben. Schon seine hart— 
protestantische Gesinnung, die überall jesuitische Umtriebe witterte, stimmte 
ihn mißtrauisch gegen die Hofburg, und als er dann bemerkte, wie Oester— 
reich in allen militärischen und wirthschaftlichen Machtfragen dem preu— 
ßischen Bundesgenossen insgeheim entgegenarbeitete, da setzte er sich sofort 
zur Wehre. Münch mußte bald fühlen, daß mit diesem strammen Reak— 
tionär noch weniger auszukommen war als mit seinem milderen Vorgänger. 
Persönlich konnten sich die Zwei, anspruchsvoll und ungemüthlich wie sie 
Beide waren, ohnehin nicht vertragen. Schon bald nach Nagler's Eintritt 
begannen geheime Zwistigkeiten, die seitdem fast alljährlich wiederkehrten 
und immer wieder durch Metternich's Vermittlung, meist zu Gunsten des
	        
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