Stillleben am Bundestage. 343
eigenen Vaterlande, denn über den lebenskräftigsten der deutschen Staaten
erhielt der Leser nur seltene, dürftige und, der Regel nach, böswillige
Berichte. Also diente die Allgemeine Zeitung dem Hause Oesterreich als
treuer Bundesgenosse, und es war kein Zufall, daß sie sofort nach Metter-
nich's Sturz ihre alte Macht für immer verlor.
Durch diese Zeitung lernte Deutschland zuerst eine Macht kennen,
deren Wirksamkeit den westlichen Nachbarn schon länger vertraut war,
die Anonymität der Presse; denn unverkennbar verdankte das Augsburger
Blatt einen Theil seines Ansehens dem undurchdringlichen Schleier, der
seine politischen Mitarbeiter, reaktionäre und liberale, einsichtige und
unfähige, bedeckte. In den unschuldigen ersten Friedensjahren hatte sich
die tapfere deutsche Natur wider die namenlose Schriftstellerei noch lebhaft
gesträubt; besaß doch unsere ehrliche Sprache nicht einmal ein ganz zu-
treffendes Wort für Anonymität. Die Kammerredner der badischen und
der bairischen Liberalen stimmten damals noch fast alle überein in der
Ansicht, daß Preßfreiheit nur möglich sei, wenn jeder mit seinem Namen
für seine Meinung eintreten müsse. Inzwischen war die Zeit der Verfol-
gungen und des Mißtrauens hereingebrochen, und die Anonymität erschien
jetzt Allen als ein unentbehrliches Bollwerk der Preßfreiheit. Man fragte
nicht mehr, welche Verletzungen der Amtspflicht, welche sittlichen Ver-
gehungen sich hinter den anonymen Artikeln versteckten; man gestand den
Tagesschriftstellern das Vorrecht zu, alles Verborgene ans Licht zu ziehen,
sich selber aber in tiefem Dunkel zu verbergen, und nahm dies Stück ver-
kehrter Welt hin als könne es gar nicht anders sein. So begann sich auch
in Deutschland eine der schlimmsten sittlichen Krankheiten des neunzehnten
Jahrhunderts einzubürgern, ein unnatürlicher Zustand, der späteren Zeiten
in einem ähnlichen Lichte erscheinen wird, wie das Delatoren-Unwesen des
römischen Kaiserreichs, dem gegenwärtigen Geschlechte aber noch so gewohnt
und behaglich vorkommt wie den Orientalen die Pest. —
Das einzige erfreuliche Ereigniß in dieser öden Epoche der Bundes-
geschichte war die Auflösung der Mainzer Central-Untersuchungscommission,
die im Jahre 1829 endlich in aller Stille wegen gänzlicher Erschöpfung
des Arbeitsstoffes nach und nach beseitigt wurde. An 90,000 Gulden hatte
sie dem Bunde gekostet, den betheiligten Regierungen eine halbe Million.
Und was war das Ergebniß? Ein erschreckender Einblick in die Gesin-
nungen — nicht der Demagogen, sondern der deutschen Höfe und ihrer
Polizeibeamten. Die Behörden waren von Haus aus auf falscher Fährte,
sie ließen den gefährlichsten der jungen Unzufriedenen, Karl Follen auf
freiem Fuße, so daß er schon zu Anfang 1820 nach Frankreich entfliehen
konnte, und führten die Untersuchung gegen die übrigen Verhafteten so
unglücklich, daß die Mainzer Commission, um doch irgend eine Spur ge-
fährlicher Umtriebe aufzuweisen, zu den unwürdigsten Verleumdungen ihre
Zuflucht nehmen mußte. Schon im Jahre 1820 sendete der nassauische