Bairischer Landtag. J. Rudhart. 347
einst in den Tagen des heiligen Reiches die zornige Frage: ob dieser Staat
die lähmende Fessel, die ihn an den Leichnam des deutschen Gesammt—
staates kettete, nicht gänzlich abschütteln müsse? Nagler selbst erklärte seinen
Frankfurter Genossen aufrichtig: nach meiner Meinung sollte Preußen
eine Institution, von der doch kein Heil zu erwarten ist, ihrem Schicksal
überlassen. Alles was in Deutschland noch lebendig war fühlte sich ge—
hemmt durch den Druck, der auf dem Bunde lag. Für die jungen Ver—
fassungen des Südens kam jetzt erst die schwerste Zeit. Die Gefahr war
größer als sie im Jahre 1819 gewesen; denn die jugendliche Begeisterung,
welche damals noch die neuen Grundsätze begrüßte, hatte sich längst ab-
gekühlt, die Entmuthigung war so allgemein, daß selbst der ängstliche
Gentz gestehen mußte, die Stimmung der gefährlichen Mittelklassen habe
sich erheblich gebessert. Die Massen vollends hatten von den Früchten
der neuen Freiheit bisher wenig mehr genossen als die erhöhte Steuer-
last, manches wackere Bäuerlein hörte schon begierig zu, wenn der Kaplan
oder der Amtmann auf die Ducatenmänner schalt — so hießen die Ab-
geordneten von wegen ihrer fünf Gulden Tagegeld.
In den neuen bairischen Landtag, der im März 1825 zusammen-
trat, war Hornthal nicht wieder gewählt; Behr und einige andere liberale
Beamte mußten fern bleiben, weil die Regierung ihr Recht der Urlaubs-
verweigerung unerbittlich handhabte. Dafür traten mehrere neue Talente
auf, alle überragend der junge Ignaz Rudhart, ein Franke aus den Stifts-
landen, der schon in frühen Jahren als Professor und Schriftsteller seine
tüchtige Gelehrsamkeit, nachher als Verwaltungsbeamter eine noch größere
praktische Begabung bewährt hatte und jetzt der anerkannt erste Redner
Baierns wurde, ein makelloser, groß angelegter Charakter. Es war eine
Lust, den jugendkräftigen Mann mit den ehrlichen, herzgewinnenden Augen
so frisch von der Leber weg sprechen zu hören, immer ganz frei — was
damals noch eine Seltenheit war —, etwas pathetischer als es die kurz
angebundene Gegenwart liebt, aber stets mit gründlicher Sachkenntniß,
aufrichtig und doch klug, gedankenreich und doch volksthümlich einfach.
Bei all seiner Unfertigkeit besaß das junge constitutionelle Leben des
Südens den großen Vorzug, daß solche Naturen sich auf seinem Boden frei
entwickeln konnten; der preußische Beamtenstaat hatte für sie noch keinen
Raum. Gleich allen Liberalen jener Tage hegte Rudhart anfangs etwas
überspannte Vorstellungen von der Macht der neuen Landtage; aber früher
als die Anderen lernte er sich bescheiden und erkannte die Schranken,
welche dem Parlamentarismus durch Deutschlands monarchische Geschichte
gesetzt sind; und weil er seine Hoffnungen nicht auf das Unmögliche
richtete, darum bewahrte er sich auch in den Tagen allgemeiner Abspan-
nung jene fröhliche, mannhafte Zuversicht, welche seinen Reden noch heute
einen eigenen Zauber giebt. Neben ihm that sich durch seine Kenntniß
der Volkswirthschaft Utzschneider hervor, ein Industrieller großen Stiles,