Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

364 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. 
aus dem krausen Durcheinander politischer Gegensätze, das in den Ver- 
handlungen der neuen Provinziallandtage zu Tage kam. Am Geburts- 
tage des Königs, 3. Aug. 1823, wurden das allgemeine Gesetz über die 
Provinzialstände vom 5. Juni und die besonderen Gesetze für Brandenburg, 
Preußen, Pommern vom 1. Juli verkündigt. Dann folgten, 27. März 
1824, die Gesetze für die übrigen fünf Provinzen. In den Jahren 1824 
bis 1827 wurden sodann die Provinziallandtage versammelt, zuerst in 
Brandenburg, zuletzt in Posen. Von der Richtigkeit der getroffenen Ent- 
scheidung war der König jetzt tief überzeugt, und was er in jüngster Zeit 
von den Früchten des süddeutschen Kammerwesens kennen gelernt hatte, 
die unstete Haltung des Stuttgarter Hofes und die beständigen Angstrufe 
aus Baiern und Baden konnten ihn in seiner Meinung nur bestärken. Er 
ließ die neuen Gesetze allen Gesandtschaften zugehen mit der Erklärung, 
die politische Ideenverwirrung der Zeit und die Mannigfaltigkeit der Pro- 
vinzialverhältnisse hätten den Abschluß der Arbeit verzögert. Die Höfe und 
die Diplomaten überboten sich natürlich in Aeußerungen dankbarer Be- 
wunderung. Berstett war ebenso entzückt wie der alte König von Sachsen, 
Rechberg lobte vornehmlich die starke Vertretung des Adels. Der badische 
Gesandte sprach die Hoffnung aus, daß nunmehr das allgemeine Urtheil 
über Verfassungsleben sich ändern werde, und Bunsen schilderte in einem 
salbungsvollen Berichte die Freude aller gutgesinnten Römer: wie leicht 
seien solche Gesetze in Deutschland, wie schwer in Italien; „wer wird bei 
solchen Betrachtungen nicht vor Allem den Geist der Reformation segnen!“ 
Nur der alte Deutsch-Franzose Reinhard in Frankfurt konnte sich's nicht 
versagen, in einer boshaften Denkschrift auf die Unzufriedenheit der Rhein- 
länder hinzuweisen.) — 
Die öffentliche Meinung in den Kleinstaaten empfing das Werk, das 
von ihren constitutionellen Idealen so weit ab lag, anfangs mit eisigem 
Stillschweigen. Das Journal des Debats war das erste Blatt, das die 
neuen Gesetze eingehend besprach, und als die deutschen Zeitungen endlich 
redeten, ging ihr Urtheil fast einstimmig dahin: die Erwartungen der 
Nation seien getäuscht, in Preußen bleibe Alles beim Alten. Die Preußen 
selbst empfanden anders. In der Masse des Volkes hatte das Verlangen 
nach Reichsständen niemals tiefe Wurzeln geschlagen, und auch die Männer, 
welche einst Größeres erhofft, waren von monarchischer Gesinnung so ganz 
durchdrungen, daß sie jetzt das Gebotene dankbar annahmen und die 
Provinzialstände mindestens als den Unterbau der künftigen Verfassung 
gelten ließen. So dachten Stein, Humboldt, Vincke, Schön. Selbst in den 
liberalen Kreisen, denen General Pfuel und der Vater Theodor Körner's 
  
*) Berichte von Küster, 21. Aug.; Jordan, 18. Aug.; Zastrow, 17. Aug.; Meyern 
in Berlin, 9. Aug.; Bunsen, 30. Aug.; Denkschrift von Reinhard, an Küster übergeben, 
August 1823.
	        
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