Einführung der Provinzialstände. 365
angehörten, begrüßte man hoffnungsvoll diesen ersten Anfang „einer
organischen Gestaltung der Nation“.“) Freilich fehlte es selbst unter den
Hochconservativen nicht an weitblickenden Männern, welche besorgt die
Frage erwogen: was denn nun werden solle im Falle eines Krieges, da
doch nur der Reichstag die Staatsschuld erhöhen dürfe? General Müff—
ling fühlte sich in seinem Gewissen gedrungen zu dem Rathe, der König
möge etwa im Jahre 1828, sobald die Provinzialstände zweimal getagt
hätten, einen Reichstag von ungefähr 120 Köpfen in zwei Kammern, um
sich versammeln, damit nicht späterhin einmal in Zeiten der Noth eine
plötzliche Berufung der Reichsstände erzwungen würde.“) Der König aber
ging nicht auf den Vorschlag ein; er rechnete auf einen langen Frieden
und wollte die Provinzialstände sich erst gründlich erproben lassen.
Die Wahlen zu den ersten Landtagen verliefen ohne Lärm, aber überall
unter sehr lebhafter Betheiligung. Auch die Ritterschaft der alten Terri—
torien nahm die neue Ordnung ohne Vorbehalt an, die altständische parti—
cularistische Opposition verschwand mit einem Schlage, die preußische Ver—
fassung stand endlich wieder auf einem allgemein anerkannten Rechtsboden.
Mochten Einzelne aus dem ständischen Adel insgeheim über den halben
Sieg klagen und den Untergang der alten Libertät beweinen, einstimmig
sprachen alle Landtage dem Monarchen ihren Dank aus, und nirgends
ward auch nur versucht, die Rechte der aufgehobenen Landstände zu ver—
wahren. Nur in Sachsen, Preußen und Pommern stellten die Provinzial—
stände den Antrag, die Krone möge den einzelnen Landestheilen noch
besondere Communallandtage gewähren, doch beruhigten sie sich sogleich,
als der König die Bitte abschlug. Wenn die neue Einrichtung das Staats—
gefühl nicht zu heben vermochte, so führte sie doch mindestens die Be—
wohner der einzelnen Provinzen näher zusammen. Der alte Marwitz
mußte zwar zu seinem Herzeleid erleben, daß ein im Magdeburgischen
angesiedelter Altmärker und gar ein „Fremder“, ein Niederlausitzer im
ersten brandenburgischen Provinziallandtage den Vorsitz führten; er murrte
über das „Unzeug“, das die Demagogen des Beamtenthums in die ständische
Gesetzgebung hineingebracht hätten. Immerhin fügte er sich, da er seinen
„märkischen Staat“ doch zum Theil wiederhergestellt sah, und triumphirend
überreichte der unbeugsame Fendale dem neuen Landtage den Tresor-
schlüssel der alten Stände, den er vor vierzehn Jahren einst vor den
Beamten Hardenberg's gerettet hatte.
Die Theilnahme, welche die ersten Landtage begrüßte, erkaltete indeß
sehr schnell, da die neuen schon in der Anlage verfehlten Institutionen
sich nur kümmerlich entwickelten. Wohl kam die Krone ihren getreuen
Ständen mit Vertrauen entgegen. Sie gab der Kurmark ihr altes
7) Pfuel an Körner, 20. Febr. 1823.
**) Müffling, Denkschrift über die Reichsstände, 1. Dec. 1825.