Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Einführung der Provinzialstände. 365 
angehörten, begrüßte man hoffnungsvoll diesen ersten Anfang „einer 
organischen Gestaltung der Nation“.“) Freilich fehlte es selbst unter den 
Hochconservativen nicht an weitblickenden Männern, welche besorgt die 
Frage erwogen: was denn nun werden solle im Falle eines Krieges, da 
doch nur der Reichstag die Staatsschuld erhöhen dürfe? General Müff— 
ling fühlte sich in seinem Gewissen gedrungen zu dem Rathe, der König 
möge etwa im Jahre 1828, sobald die Provinzialstände zweimal getagt 
hätten, einen Reichstag von ungefähr 120 Köpfen in zwei Kammern, um 
sich versammeln, damit nicht späterhin einmal in Zeiten der Noth eine 
plötzliche Berufung der Reichsstände erzwungen würde.“) Der König aber 
ging nicht auf den Vorschlag ein; er rechnete auf einen langen Frieden 
und wollte die Provinzialstände sich erst gründlich erproben lassen. 
Die Wahlen zu den ersten Landtagen verliefen ohne Lärm, aber überall 
unter sehr lebhafter Betheiligung. Auch die Ritterschaft der alten Terri— 
torien nahm die neue Ordnung ohne Vorbehalt an, die altständische parti— 
cularistische Opposition verschwand mit einem Schlage, die preußische Ver— 
fassung stand endlich wieder auf einem allgemein anerkannten Rechtsboden. 
Mochten Einzelne aus dem ständischen Adel insgeheim über den halben 
Sieg klagen und den Untergang der alten Libertät beweinen, einstimmig 
sprachen alle Landtage dem Monarchen ihren Dank aus, und nirgends 
ward auch nur versucht, die Rechte der aufgehobenen Landstände zu ver— 
wahren. Nur in Sachsen, Preußen und Pommern stellten die Provinzial— 
stände den Antrag, die Krone möge den einzelnen Landestheilen noch 
besondere Communallandtage gewähren, doch beruhigten sie sich sogleich, 
als der König die Bitte abschlug. Wenn die neue Einrichtung das Staats— 
gefühl nicht zu heben vermochte, so führte sie doch mindestens die Be— 
wohner der einzelnen Provinzen näher zusammen. Der alte Marwitz 
mußte zwar zu seinem Herzeleid erleben, daß ein im Magdeburgischen 
angesiedelter Altmärker und gar ein „Fremder“, ein Niederlausitzer im 
ersten brandenburgischen Provinziallandtage den Vorsitz führten; er murrte 
über das „Unzeug“, das die Demagogen des Beamtenthums in die ständische 
Gesetzgebung hineingebracht hätten. Immerhin fügte er sich, da er seinen 
„märkischen Staat“ doch zum Theil wiederhergestellt sah, und triumphirend 
überreichte der unbeugsame Fendale dem neuen Landtage den Tresor- 
schlüssel der alten Stände, den er vor vierzehn Jahren einst vor den 
Beamten Hardenberg's gerettet hatte. 
Die Theilnahme, welche die ersten Landtage begrüßte, erkaltete indeß 
sehr schnell, da die neuen schon in der Anlage verfehlten Institutionen 
sich nur kümmerlich entwickelten. Wohl kam die Krone ihren getreuen 
Ständen mit Vertrauen entgegen. Sie gab der Kurmark ihr altes 
  
7) Pfuel an Körner, 20. Febr. 1823. 
**) Müffling, Denkschrift über die Reichsstände, 1. Dec. 1825.
	        
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