Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Die Stände gegen die Hardenbergische Gesetzgebung. 371 
Gleich der erste Landtag, der brandenburgische, erhob alsbald heftige 
Klagen wider die Neuerungen, welche der sogenannte Zeitgeist einer blutigen 
und wildbewegten Zeit hervorgerufen habe. „Der Theorie alter und neuer 
Zeit fremd“, erklärten die Märker, „vermögen wir freilich nichts zu geben als 
die Wahrheit der Erfahrung.“ Die Erfahrung aber lehre, wie Tausende 
„bloß von gehoffter Selbständigkeit geblendet“ durch die neue Gewerbe— 
freiheit verführt würden und der Landmann „bedrückt von den verderb— 
lichen Einflüssen freien Verkehrs auf der Grenze“ sich vergeblich nach 
Hilfe umsehe.') Aehnliche Beschwerden erklangen, etwas minder laut, 
fast auf allen Landtagen. Der König indeß hatte solchen Wünschen von 
vornherein einen Riegel vorgeschoben, indem er der Immediat-Commission 
die Weisung ertheilte: die Grundsätze der Gesetzgebung von 1810 dürften 
nicht umgestoßen werden, denn das hieße „Verhältnisse zerstören, die auf 
Grund gesetzlicher Verpflichtungen sich gebildet und mehr oder weniger 
Wurzel geschlagen haben“; nur einige Abänderungen im Einzelnen wollte 
er gestatten, wenn die Stände sie mit guten Gründen verlangten, doch 
auf keinen Fall eine Verminderung der neu gewonnenen Steuereinnahmen, 
so lange nicht ein Ersatz gefunden sei.““*) Es war allein das Verdienst 
des Königthums, daß Hardenberg's Reformen im Wesentlichen aufrecht 
erhalten und behutsam in die neuen Provinzen eingeführt wurden. In 
den Kleinstaaten war der Berliner Hof als eine Macht der Reaktion ver- 
rufen, weil der politische Dilettantismus der Deutschen es nicht der Mühe 
werth hielt, die Zustände des größten deutschen Staates ernstlich kennen 
zu lernen; in Wahrheit dachte und handelte König Friedrich Wilhelm 
liberaler als seine getreuen Stände. 
Nicht in Allem freilich zeigte sich der Monarch seinen Ständen über- 
legen. Die Kreisordnungen, welche er den Landtagen vorlegen ließ, schlossen 
sich der mißrathenen Bildung der Provinzialstände würdig an; sie waren 
das Werk der Immediat-Commission, und dort hatte der Kronprinz den 
Ausschlag gegeben. Diesem Prinzen überließ der König auch fernerhin 
den Ausbau aller ständischen Institutionen. Er freute sich seinen Thron- 
folger so gründlich in alle Einzelheiten der Provinzialverwaltung eindringen 
zu sehen, und beklagte oft vor seinen Vertrauten, daß ihm selber diese 
Kenntniß fehle, weil Beyme und die anderen Cabinetsräthe in den ersten 
Jahren seiner Regierung ihm die Arbeit zu bequem gemacht hätten.) 
Aber bei allem Fleiß konnte der Kronprinz ein lebendiges Bild von den 
Bedürfnissen der Kreisverwaltung, das sich nur durch praktische Erfah- 
rung erwerben läßt, doch nicht gewinnen, und da sich auch sonst in der 
Commission kein schöpferischer Kopf fand, so mißglückte die neue Kreisord- 
  
*) Adresse der brandenburgischen Stände, Dec. 1824. 
*“) Cabinetsordre an den Kronprinzen, 30. November 1824. 
*8) Witzleben's Tagebuch 1822. 
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