Die Stände wider die Gewerbefreiheit. 377
zu entledigen suchen — ein verzweifelter Rath, der schon manchen Klein-
müthigen als das letzte Heilmittel für alle socialen Nöthe galt.
Selbst Unbefangene mußten zugestehen, daß auf dem preußischen Markte
neben dem Segen auch der Fluch der Freiheit sich schon zeigte. Der
unbeschränkte Wettbewerb stachelte die Thätigkeit, beförderte die Fortschritte
der Technik. Die großen auf Vorrath arbeitenden Geschäfte blühten, aber
der kleine Meister ward durch die Uebermacht des Capitals erdrückt; im
Jahre 1831 konnten von den 1088 Tischlermeistern Berlins 640 keine
Gewerbesteuer zahlen. Und wie leichtsinnig hatte Hardenberg mit den
unhaltbaren Vorrechten der alten Zünfte auch alle die sittlichen Bande
zerstört, welche das Handwerk noch zusammenhielten. Die Zünfte, die
jetzt noch da und dort als freie Genossenschaften fortbestanden, entbehrten
des Ansehens und der Lebenskraft; der tapfere Handwerksstolz, die alte
strenge Zucht und Sitte verfielen, die Erziehung der Lehrlinge blieb dem
guten Glücke anheimgestellt. Hier lag der Grund, warum Stein, den
man jetzt mit Unrecht der Sinnesänderung zieh, immer nur eine Reform
des Zunftwesens gefordert und die Auflösung der Zünfte von vornherein
als seichten, rechtlosen „Neologism“ bekämpft hatte. Was galten ihm
technische Fortschritte neben der sittlichen Entwicklung des Volkes, dem
eigentlichen Zwecke des Staates? Mit flammendem Eifer trat er für
seine Ansicht ein, und Gneisenau fürchtete schon, der Freiherr werde im
Staatsrathe mit Hilfe des Kronprinzen die gesammte neue Gewerbegesetz-
gebung über den Haufen werfen; „an ihn," so schrieb er, „einen solchen
Bekehrten wird sich eine zahlreiche Phalanx eifriger Bekenner, in Schutz
genommen von einer hohen Person, anschließen; ich nicht.““)
Die Gefahr einer unbedachten Reaktion lag sehr nahe. Die Regie-
rung aber blieb ruhig, und die Stimmung der Rheinländer, denen die
Gewerbefreiheit schon in Fleisch und Blut gedrungen war, bot ihr einen
festen Rückhalt. Sie hielt die bestehende Ordnung vorläufig aufrecht,
gewährte den früheren Berechtigten durch eine Declaration billige Ent-
schädigung und ließ sodann in mühseliger Arbeit eine Gewerbeordnung für
den gesammten Staat vorbereiten, welche den begründeten Beschwerden
Abhilfe bringen, aber die Grundgedanken der Hardenbergischen Gesetzgebung
nicht aufgeben sollte. J. G. Hoffmann, dem diese Aufgabe zunächst zufiel,
hatte in seinen jungen Jahren das Zunftwesen mit dem ganzen Radica-
lismus der neuen Volkswirthschaftslehre bekämpft und den Corporations--
geist schlechthin für den Feind des Gemeingeistes erklärt. Seitdem war
er über „das unselige laisser faire der Jünger Mercurs"“ längst ins Klare
gekommen und bemühte sich nun bedachtsam die Frage zu beantworten,
ob es möglich sei, in freien Innungen den sittlichen Inhalt der alten
Zünfte, ihr ehrenhaftes Genossenschaftsleben wieder zu beleben ohne den
*) Gneisenau an Schön, 24. Febr. 1827.