Die Judenfrage. 379
bereits Gewährten dachte Friedrich Wilhelm nicht wieder abzugehen, und
nur einmal, in den Tagen, da die Partei Voß-Buch's den Hof beherrschte,
ließ er sich zu einer Zurücknahme bewegen: im December 1822 wurde
den Juden der Zutritt zu den akademischen und Schulämtern wieder
untersagt, „wegen der bei der Ausführung sich zeigenden Mißverhältnisse“.
Unterdessen bestanden in den neuen Provinzen des Ostens noch die harten
kursächsischen und schwedischen Judengesetze, im Westen die Vorschriften
des Code Napoleon. Um diese unerträgliche Ungleichheit zu beseitigen,
verlangte die Krone den Rath der Provinzialstände.
Da brach auf allen acht Landtagen stürmische Entrüstung los. Der
Groll, der hier redete, entsprang nicht, wie vormals der Judenhaß der
Burschenschaft, einer unklaren christlich-germanischen Schwärmerei, sondern
der wirthschaftlichen Bedrängniß des Landvolks; denn unsägliches Elend
hatten jüdische Wucherer und Güterschlächter während der schweren Krisis,
die um die Mitte der zwanziger Jahre die deutsche Landwirthschaft heim—
suchte, über Grundherren und Bauern gebracht. Angesichts solcher Er—
fahrungen hielten die Grundbesitzer fast allesammt für ausgemacht, daß die
Gesetzgebung der napoleonischen Zeit die Juden weder veredelt, noch sie
ihren christlichen Mitbürgern näher geführt habe. Kein einziger der acht
Landtage empfahl die allgemeine Einführung des Edikts von 1812. Alle
verlangten vorbeugende Maßregeln zum Schutze des Grundbesitzes; schade
nur, daß die Vorschläge wieder sehr weit aus einander gingen. Die
Einen wollten den Juden den Ankauf von Landgütern, die Anderen den
Hausirhandel und alle Darlehnsgeschäfte untersagen. Auch sollte ihnen
nicht erlaubt sein, sich die Namen geachteter christlicher Familien anzu-
eignen; diese Bitte kehrte fast auf allen Landtagen wieder, da die großen
altgermanischen Geschlechter der Lehmann und Meier sich über ihre neue
morgenländische Namensvetterschaft gar nicht trösten konnten. Die drei
Grenzprovinzen des Ostens forderten außerdem noch strenges Einschreiten
wider die Landplage der schnorrenden und schachernden Einwanderer, die
aus der polnischen Wiege des deutschen Judenthums jahraus jahrein west-
wärts zogen und zumal in Ostpreußen die öffentliche Sicherheit ernstlich
gefährdeten. Die Erregung war allgemein. Kaum minder heftig als die
conservativen Brandenburger redeten die liberalen Preußen. Selbst die
Rheinländer schlossen sich nicht aus; sie wollten die einheimischen Juden
nur als Schutzverwandte in den Gemeinden dulden, den nichtrheinischen
den Zuzug in die Provinz der Regel nach ganz verbieten und empfahlen
dem Könige namentlich das napoleonische Gesetz vom 17. März 1808,
das für die Schuldverträge der Israeliten harte, zum Theil ehrenkränkende
Ausnahmevorschriften ausfstellte.
Leicht war es nicht, allen diesen Begehren zu widerstehen, denn sie
sprachen nur aus, was die große Mehrheit des Landvolks dachte, und sie
standen auch im Einklang mit der Volksmeinung außerhalb Preußens.