380 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
Um dieselbe Zeit (1828) konnte die württembergische Regierung ein Gesetz,
das die dort sehr hart bedrückte Lage der Juden erleichtern sollte, erst nach
lebhaftem Widerstande des Landtags und unter wesentlichen Einschränkungen
durchsetzen. Gleichwohl ließ sich die preußische Krone nicht fortreißen;
sie versprach nur die Rathschläge der Landtage bei der Neuordnung der
Judengesetze sorgfältig zu prüfen. Aber diese Neuordnung unterblieb,
weil der König fühlte, daß sie jetzt die Lage der Juden nur verschlimmern
konnte. Noch lange Jahre lebten die preußischen Juden in den einzelnen
Landestheilen nach verschiedenem Rechte. Abermals sah sich die Krone
durch das Wirrsal der achtfachen ständischen Verhandlungen in ihren
freien Entschlüssen behindert. Dieser Staat, dessen unnatürliche Centra—
lisation die Liberalen der Kleinstaaten zu tadeln pflegten, litt in Wahr—
heit unter der Lockerheit seines Gefüges; wichtige Gebiete der Gesetzgebung
blieben ungeordnet, weil die Staatsgewalt der centrifugalen Kräfte nicht
Herr wurde. —
Entschlossener verfuhr die Krone in der Agrargesetzgebung. Die
schwierige Arbeit der Ablösung und Regulirung nahm in den alten Pro—
vinzen ihren ruhigen Fortgang, und ihr Segen ließ sich mit Händen
greifen. Als der Verfasser des Regulirungsedikts, der alte Thaer, sein
Jubiläum feierte, erschienen Abgeordnete der märkischen Bauern in Möglin,
um dem gerechten Könige, der sich des Laßbauernstandes so väterlich an—
genommen, ihren Dank zu sagen und die gute Hand zu küssen, die ihm
dabei geholfen habe. In den neuen Gebieten konnte die Hardenbergische
Agrargesetzgebung nur durch Provinzialgesetze, mit mannigfachen Aende—
rungen und Vorbehalten eingeführt werden. In Sachsen und Posen galt
es den bäuerlichen Besitz zu befreien, in Westphalen die unter der Fremd—
herrschaft vollzogene Befreiung anzuerkennen, aber den Berechtigten die
billige Entschädigung zu gewähren, welche ihnen die französischen Gesetze ver—
sagten. Beim besten Willen waren Uebereilungen und Mißgriffe unver—
meidlich. In den bergisch-westphälischen Landen mußte das allzu radicale
erste Gesetz von 1821 schon nach vier Jahren durch ein neues, billigeres
ersetzt werden. In Posen umgekehrt trat der Gesetzgeber anfangs (1823)
zu schüchtern auf. Der mächtige Adel, der schon fast alle Bauern zur
Zeitpacht herabgedrückt hatte und selbst in seinen großen Mediatstädten
Meseritz, Krotoschin, Kempen gutsherrliche Gefälle erhob, sträubte sich aufs
Aeußerste gegen die Ablösung. Erst ein zweites Gesetz vom Jahre 1833
griff scharf durch und brach den Widerstand. Dann aber zeigte sich ge—
rade hier im Lande der sarmatischen Adelsherrlichkeit am auffälligsten,
wie weit die preußische Gesetzgebung ihr französisches Vorbild übertraf.
Den französischen Pächtern hatte die Nacht des vierten August gar keine
Erleichterung gebracht; das deutsche Gesetz ging von der wohlberechtigten
Annahme aus, daß die meisten bäuerlichen Pachtungen nur durch will-
kürliche Uebergriffe der Grundherren entstanden seien, und gewährte auch