Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Proceß Fonk. 383 
erbitterte Volk aber ließ nicht von ihm ab. Jener unruhige Drang nach 
nervöser Aufregung, der dem modernen Geschlechte so tief im Blute liegt und 
in dem stillen politischen Leben der Zeit keine Nahrung fand, bemächtigte sich 
des Processes Fonk und spielte mit abenteuerlichen Erfindungen, ganz wie 
späterhin als die räthselhafte Erscheinung Kaspar Hauser's auftauchte. 
Das unheimliche, wie mit einem Kainszeichen gebrandmarkte Gesicht des 
Beschuldigten schien die vorhandenen Verdachtsgründe zu bestätigen; der 
Argwohn der kleinen Leute wider die Reichen wirkte mit, in den pro— 
testantischen Städten am Niederrhein wohl auch der confessionelle Haß 
gegen den Neffen des clericalen Aachener Generalvicars Fonk. Genug, 
fast alle Rheinländer glaubten an Fonk's Schuld, die Schulkinder sangen 
Gassenhauer auf den unbestraften Mörder, die öffentliche Stimme äußerte 
sich mit solcher Macht, daß die Behörden die Untersuchung wieder auf— 
nahmen. Zum dritten male verhaftet wurde Fonk, sechs Jahre nach der 
Auffindung des Leichnams, endlich vor die Assisen in Trier gestellt. 
Ob die Volksmeinung das Rechte traf, ist bis zur heutigen Stunde 
noch völlig zweifelhaft; um so gewisser dagegen, daß alle Gebrechen des 
Schwurgerichts, alle die bureaukratischen Mißbräuche des französischen Ver— 
fahrens bei dieser Verhandlung häßlich zu Tage traten. Nach jeder Sitzung 
wurden die Geschworenen in den Weinhäusern von den aufgeregten Massen 
bearbeitet; unter den Zeugen spielten die Moutons, die berüchtigten Gefäng- 
nißspione der französischen Polizei, eine sehr widerwärtige Rolle; der Ge— 
neraladvocat v. Sandt, derselbe, der sich in den rheinischen Wahlkämpfen 
hervorthat, betrieb die Anklage mit unziemlicher Gehässigkeit und veröffent— 
lichte noch vor der Entscheidung eine Druckschrift darüber; auch der Prä— 
sident mißbrauchte die schrankenlose Gewalt, die ihm das französische 
Gesetzbuch einräumte, zu mannigfacher Einschüchterung. Als die Ge— 
schworenen, trotz der höchst mangelhaften Beweise, ihr Schuldig sprachen, 
ging ein Ruf des Jubels durch das rheinische Land; in einzelnen Städten 
veranstaltete man geradezu Freudenfeste; das Gewissen des Volkes war 
befriedigt. Benzenberg aber, der sich von den Stimmungen seiner Lands— 
leute so leicht nicht fortreißen ließ, schrieb dem Staatskanzler: an diesem 
Wahrspruch werde das rheinische Schwurgericht zu Grunde gehen. 
In der That erweckte das Todesurtheil außerhalb der Provinz fast 
überall Entrüstung. Der Göttinger Jurist Kobbe sendete alsbald eine 
scharfe Kritik an Hardenberg, Berufene und Unberufene stürzten sich in 
den Federkrieg.“) Auch Helmine v. Chezy drängte sich vor, die Enkelin der 
Karschin, eines jener fürchterlichen literarischen Frauenzimmer, die ihre 
Mitmenschen bald durch Verse, bald durch Nächstenliebe zu mißhandeln 
pflegen. Mit Schadenfreude sah das reaktionäre Lager diesen Kämpfen 
*) Benzenberg an Hardenberg, 12. Juli, 25. Novemb.; Hardenberg an Kircheisen, 
3. Aug.; Kobbe an Hardenberg, 18. Juli 1822.
	        
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