Sinkende Macht des Staatsraths. 389
(8. März 1827). Er schilderte das unfreundliche Verhältniß zwischen den
beiden obersten Behörden und verlangte, keine von beiden dürfte ein Ueber—
gewicht erlangen; dann wies er nach, daß im letzten Jahre von dreißig
neuen Gesetzen nur vier durch den Staatsrath gegangen seien, und schloß:
„Wird diesen Uebeln nicht abgeholfen, so existirt der Staatsrath nur dem
Namen nach, und dann wäre es besser ihn gänzlich aufzuheben.“*)
Welche Zumuthung an den Monarchen! Wie konnte er den Staat
fest und sicher leiten, wenn seine Regierung durch die so weit aus ein-
ander strebenden Rathschläge von acht Landtagen beengt wurde und zu-
gleich durch die Opposition eines Staatsraths, der den Anspruch erhob, alle
Gesetzentwürfe zu prüfen, dem Ministerium das Gleichgewicht zu halten?
Friedrich Wilhelm hatte den Streit seiner höchsten Räthe schon längst mit
Unmuth betrachtet und eben deshalb seinem Schwager den erbetenen Sitz
im Ministerrathe so entschieden verweigert, weil er verhindern wollte, daß
der Zwiespalt auch noch in das Ministerium selber eindränge. Nun be-
schloß er ein Ende zu machen und ließ dem Herzog durch Graf Lottum
eröffnen: er behalte sich selber vor, nach freiem Ermessen zu bestimmen,
welche Gesetze dem Staatsrathe zur Berathung überwiesen werden sollten.)
Damit wurde dem Staatsrathe die Wirksamkeit, die ihm die Verordnung
von 1817 zugewiesen, erheblich beschränkt: er hatte nicht mehr über alle
neuen Gesetzentwürfe zu berathen, sondern konnte fortan nach dem Be-
lieben des Königs auch unbefragt bleiben. Die Aenderung lag unbestreit-
bar in den Befugnissen der absoluten Krone, nur geschah sie leider in
anfechtbarer Form, durch einfachen mündlichen Befehl. Allen unerwartet,
aber ganz unvermeidlich ergab sich also aus der Berufung der Provinzial-
stände das sinkende Ansehen des Staatsraths. Er wurde zwar nicht, wie
Herzog Karl befürchtete, zu einem leeren Namen, seine Verhandlungen
blieben noch in den dreißiger Jahren gehaltreich und fruchtbar; doch der
Höhepunkt seiner Macht war überschritten, ein abschüssiger Weg war be-
treten, der schließlich in der constitutionellen Epoche dahin führte, daß die
einst so einflußreiche Behörde ihre Thätigkeit fast ganz einstellte.
Von allen diesen Händeln ward im Volke wenig ruchbar. Nur wer
den Geschäften näher stand, mußte einsehen, daß die preußische Krone
durch ihre altdeutschen Stände kaum weniger belästigt wurde als die
süddeutschen Höfe durch ihre modernen Volksvertretungen. Die Provinzial-
stände brachten der Monarchie manche Plagen des constitutionellen
Systems, aber keinen seiner Vortheile. Sie brachten ihr ein gut Theil
von dem Unfrieden, den Reibungen und Verzögerungen, die mit jeder
Form der Repräsentation unzertrennlich verbunden sind, doch sie ver-
*) Herzog Karl v. M., Denkschrift über den Staatsrath, 8. März; Schreiben an
Herzog Karl: von Friese, 19. Febr.; von Müffling, 19. März; von Kamptz, 7. Okt. 1827.
*.) Lottum an Herzog Karl, 28. Okt. 1827.