Uebertritt der Herzogin von Köthen. 395
Lutherlande ihr Lager auf; die verrufene Freistätte des deutschen Schmuggel—
handels wurde für drei Jahrzehnte zugleich die Hochburg der clericalen
Umtriebe im Nordosten. König Friedrich Wilhelm antwortete seiner
Schwester mit schonungsloser Aufrichtigkeit: „Ich muß Ihnen ganz frei
heraussagen, daß meines Dafürhaltens nie ein unglücklicherer, unseligerer
Entschluß von Ihnen gefaßt werden konnte.“ Dann stellte er ihr Alles
vor, was ihm seine feste evangelische Ueberzeugung eingab, und schloß:
„Heraus mußte es. Hab ich Unrecht, so helfe mir Gott!“ Bald darauf
erschien diese Antwort in den Zeitungen mit Genehmigung des Königs.
Ihn kümmerte es nicht, daß die katholischen Blätter und der anhaltische
Hofrath v. Schütz in einer eigenen Gegenschrift über seine Härte klagten.
Er wollte vor der Welt ein Zeugniß ablegen von der unveränderten
Gesinnung seines Hauses, das sich bisher des Convertitenwesens streng
erwehrt hatte; auch drängte es ihn, die gehässigen Gerüchte zu widerlegen,
welche ihn selber katholischer Neigungen bezichtigten. Mit Absicht hatte
er in seinen Brief die Versicherung eingeflochten, daß die erneuerte alte
evangelische Agende der unirten Landeskirche auf dem Boden der reinen
biblischen Lehre stehe; denn eben durch diese Agende sowie durch die katho—
lischen Heirathen im königlichen Hause waren neuerdings manche ängst—
liche Protestanten an der Glaubenstreue des frommen Monarchen irr
geworden. —
Unauslöschlich hafteten in Friedrich Wilhelm's Seele die religiösen
Eindrücke, die er einst nach der ersten Einnahme von Paris in England
empfangen hatte; mit Rührung gedachte er der tiefen Stille des Sabbaths,
der dichten Schaaren der Kirchgänger in den Straßen Londons, der feier—
lichen Würde des anglicanischen Gottesdienstes. Die tiefdunklen Schatten—
seiten der englischen Kirchlichkeit blieben dem Fürsten, der dort in der
Fremde nur die Oberfläche des Lebens kennen lernte, freilich verborgen;
er bemerkte nicht, wie viel herzlose Werkheiligkeit sich hinter dieser Andacht
verbirgt, noch wie viele geheime Sünden die unnatürliche Strenge der
englischen Sonntagsfeier hervorruft. Als er dann heimkehrte, gehobenen
Herzens, voll demüthiger Dankbarkeit gegen die Gnade Gottes, die er so
sichtbar über sich und seinem Volke hatte walten sehen, da erschrak er
über seine spärlich besuchten deutschen Kirchen und fühlte sich erkältet durch
die dürftige Nüchternheit ihres Cultus, der im Zeitalter der Aufklärung
allmählich allen Adel der Form, Alles was die Gemüther erbaut und er—
hebt, so gänzlich abgestreift hatte, daß eine Predigt über einige moralische
Gemeinplätze oft den ganzen Inhalt des Gottesdienstes ausmachte. Der
alte Rationalismus wollte, wie einer seiner Führer selbstzufrieden sagte,
„den Interessen der Menschheit und des Staates dienen mit schonender
Berücksichtigung des im Volke noch nicht erstorbenen Christenglaubens“.
Unter der langjährigen Herrschaft dieser sittlich achtungswerthen, aber
durchaus unkirchlichen Richtung waren mit dem Dogma auch die Cultus—