Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

400 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. 
Kirche wohl gefühlt und für die Organisation einer umfassenden Landes- 
kirche niemals ein Verständniß gezeigt hat. Auch amtlich trat er für seine 
Ueberzeugung ein, indem er mit noch elf anderen angesehenen Berliner 
Geistlichen eine nachdrückliche Vorstellung gegen die Agende einreichte. 
Dann wendete er sich wider die liturgische Flugschrift des Königs selber; 
er unterwarf sie in einem „Gespräche zweier Christen“ einer scharfen Kritik 
und scheute sich nicht zu gestehen, daß er den ungenannten Verfasser wohl 
kenne. Dies Gespräch fand in der Leserwelt geringen Widerhall, weil die 
gewundene Dialektik platonischer Dialoge dem modernen Geschmack fremd- 
artig und künstlich erscheint. Um so größer war die Entrüstung in der 
amtlichen Welt. Geh. Rath Kamptz, der natürlich unbedingt für das 
liturgische Recht des Monarchen eintrat, verlangte stürmisch die Bestrafung 
der unerhörten Frechheit. Schon seit Jahren gepeinigt durch allerhand 
kleine Nadelstiche des bureaukratischen Unmuths, erwartete Schleiermacher 
täglich seine Entlassung, und nach glaubwürdigen Mittheilungen war 
Altenstein selbst einmal nahe daran sie zu verfügen. Der König aber 
dachte hoch von diesem Gegner, er wünschte dringend ihn zu gewinnen 
und ließ ihn frei gewähren. 
Nachhaltiger als diese Kämpfe auf den Höhen der theologischen Wissen- 
schaft wirkte der zähe Widerstand, welchen die Stillen im Lande der 
Agende entgegensetzten; denn jederzeit hat das religiöse Gefühl in den 
breiten Massen des Volks, unter den Mühseligen und Beladenen seine 
höchste Kraft offenbart. Von Altersher bestanden in allen Provinzen 
zerstreut allerhand kleine Conventikel von Gottseligen, die sich von dem 
vorherrschenden Rationalismus der Landeskirche scheu absonderten. Ihre 
Zahl hatte sich vermehrt seit den Heimsuchungen der Kriegsjahre, und 
man pflegte in diesen Kreisen das neue Jahrhundert gern als die Zeit 
der Erweckung zu bezeichnen. Es waren zumeist kleine Leute unter der 
Führung einzelner Edelleute oder Gelehrten, nach der Weise des alten 
Pietismus leidsam und ruheselig gegenüber der Obrigkeit, aber sehr reiz- 
bar gegen jede Störung ihres kirchlichen Herkommens. Ein solcher Kreis 
von Erweckten sammelte sich in Hinterpommern um Senfft-Pilsach, den 
vertrauten Freund des Kronprinzen, und die Gebrüder v. Below. Im 
gleichen Geiste wirkte in Berlin und den armen Weberdörfern des Riesen- 
gebirges Freiherr v. Kottwitz, der fromme Baron, wie das Volk ihn nannte, 
ein ehrwürdiger Patriarch, unermüdlich in werkthätiger Liebe, ein Vor- 
läufer der inneren Mission; hunderte der brodlosen Berliner Arbeiter 
hatten während der Kriegsjahre bei ihm in der alten Kaserne am Alex- 
anderplatze Obdach, Pflege und Erbauung gefunden. Nach seinem Vorbild 
errichtete jetzt Graf A. v. d. Recke ein Rettungshaus am Niederrhein. 
Minder unschuldig war die verzückte Schwärmerei einer aufgeregten Sekte, 
die in Königsberg den mystischen Lehren des frommen Sonderlings Schön- 
herr folgte. Am trotzigsten aber traten die Breslauer Altlutheraner auf.
	        
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