Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

444 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. 
sich Niebuhr in Rom des „moralisch Schiffbrüchigen“ an. Eine neue 
Welt reiner und hoher Gedanken ging dem hochbegabten Jüngling auf, 
als ihn der große Gelehrte seines väterlichen Vertrauens würdigte. Auf 
Niebuhr's Fürbitte erlaubte ihm der König unbelästigt heimzureisen. Lieber 
kehrte zurück und gestand in einem freimüthigen Briefe an Kamptz, daß 
er die Thorheiten seiner Jugend überwunden habe. Doch selbst das Wort 
des Königs war den Demagogenrichtern nicht heilig. Der gequälte Mann 
ward abermals vorgeladen, um Zeugniß abzulegen wider seine alten Ge- 
nossen, und da er die Aussage verweigerte, nochmals in Köpenick ein- 
gesperrt, bis er endlich durch den Beistand seines treuen Gönners wieder 
loskam. 
Auch Heinrich Karl Hofmann, einer von den ersten Begründern der 
Gießener Burschenschaft, mußte in Köpenick Rede stehen; er war längst 
schon Anwalt in Darmstadt und hatte sich bereits zu den gemäßigt libe- 
ralen Grundsätzen bekehrt, denen er als Mann immer treu blieb. Auch 
er weigerte sich standhaft, die Freunde seiner Jugend zu verrathen. Der 
unglückliche Sprewitz dagegen versuchte im Gefängniß sich zu erstechen; 
schwer verwundet verlor er den Muth und bekannte Alles. Seine Ge- 
ständnisse stimmten größtentheils überein mit den Anzeigen Wits v. Dörring, 
des elenden Verräthers, der, einst Follen's und Sand's vertrauter Ge- 
nosse, seitdem fast in allen Ländern Europas das wüste Bummler- 
leben des Geheimbündlers geführt hatte und nun, nachdem er die Kerker 
Piemonts und Oesterreichs kennen gelernt, bei Metternich, Hatzfeldt, 
Schuckmann den Angeber spielte. Schwer genug hielt es freilich, aus 
den Aussagen des halbverrückten Abenteurers ein klares Bild zu gewinnen; 
Alles was er mittheilte war ein Durcheinander von Wahrem und Fal- 
schem, ebenso verworren wie die Denkwürdigkeiten, die er bald nachher 
erscheinen ließ. 
Immerhin lagen jetzt endlich genügende Beweise vor; verstand man 
die hohlen Worte des Bundeseides buchstäblich, so ließ sich nicht bestreiten, 
daß der Jünglingsbund hochverrätherische Zwecke verfolgt hatte. Bei der 
Verurtheilung der jungen Verbrecher trat der deutsche Particularismus 
wieder in volle Wirksamkeit; trotz der gemeinsam geleiteten Untersuchung 
ließ jeder Bundesstaat durch seine eigenen Gerichte, nach seinen eigenen 
Gesetzen Recht sprechen, und die Erkenntnisse offenbarten in der That die 
vielbewunderte schöne Mannigfaltigkeit des deutschen Staatslebens. Am 
härtesten lauteten die Urtheile der preußischen Gerichte. Das Breslauer 
Oberlandesgericht verurtheilte mit einem male (1826) achtundzwanzig 
Mitglieder des Jünglingsbundes zu schweren Strafen — bis zu fünf- 
zehn Jahren Festung; nur Einer, der junge v. Viebahn, späterhin be- 
kannt als ausgezeichneter Verwaltungsbeamter und Statistiker, wurde 
vorläufig freigesprochen — denn die Freisprechung von der Instanz war 
noch statthaft — „dagegen wegen dringenden Verdachts, die Existenz dieser
	        
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