Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

448 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. 
der in Europa nur ein Treibhausgewächs ist, seinen Heimathboden. Steuern 
giebt es keine oder doch fast keine, denn die Regierung der ganzen Ver- 
einigten Staaten kostet nicht soviel als die von einem unserer Fürsten- 
thümer.““) Niemals bemerkte er die augenfällige Thatsache, daß dieselben 
Aufgaben der Verwaltung, welche in Deutschland der Staat löst, in 
Amerika durch die freie Thätigkcit der Gesellschaft weit schlechter und weit 
kostspieliger gelöst werden. Thatkräftig und arbeitsam, wie er immer ge- 
wesen, schlug er sich durch ein Leben voll Sorgen und Entbehrungen und 
nahm, wie so viele seiner Unglücksgefährten, vorlieb mit untergeordneten 
Beschäftigungen, welche daheim seinem Ehrgeiz nie genügt hätten. Als 
Lafayette seine Triumphreitse durch die Vereinigten Staaten hielt, be- 
grüßte ihn Follen als alten Kampfgenossen; aber von der deutschen Politik 
wendete er sich gänzlich ab. „Die Zeit wird hoffentlich kommen,“ so schrieb 
er, „da die Regierungen jenseits mir glauben werden, daß ich in ihren 
Kram, in den ich nicht tauge, mich nicht mischen will.“““) Er suchte ganz 
aufzugehen in den Interessen seiner neuen Heimath, stritt tapfer, einer 
der Ersten, für die Aufhebung der Sklaverei und schloß sich den unita- 
rischen Gemeinden seines edlen Freundes W. E. Channing an: in dieser 
Kirche ohne Symbole, ohne Synoden und Behörden fand er das Hoöchste, 
was er im sittlichen Leben kannte, die unbedingte Freiheit des persönlichen 
Willens. 
An den radicalen Ideen seiner Jugend hielt er fest mit jener un- 
heimlichen Hartnäckigkeit, welche der politische Fanatiker mit dem Geistes- 
kranken gemein hat; ein Werden, eine innere Entwicklung war der Ein- 
seitigkeit dieser harten Natur nicht beschieden. Noch in seiner letzten Schrift 
über Krieg und Frieden vertheidigte er seinen alten, der französischen Ver- 
fassung von 1791 entlehnten Lieblingssatz: der einzige Zweck des Staates 
ist der Schutz der persönlichen Rechte der Einzelnen; darum ist der Krieg 
eine Verschwörung zu Raub und Mord, nur in dem einen Falle berechtigt, 
wenn die Menschenrechte, sei es auch nur an einem einzigen Menschen 
verletzt worden sind — und so lief schließlich Alles wieder auf den crassen 
Subjektivismus der Unbedingten, auf den Krieg der Individuen hinaus. 
Wie gewandt er sich auch in Sprache und Sitte seines zweiten Vater- 
landes fand, der Fluch des Heimathlosen blieb ihm doch nicht erspart. In 
Deutschland war für den Radicalen kein Raum gewesen, den Amerikanern 
blieb der Idealist unverständlich. Wenn er ihnen Vorträge über Schiller 
hielt, den er ganz abstrakt als den Dichter der freien Sittlichkeit auf- 
faßte, so bemerkte er bald, daß die Hörer ihm nicht folgen konnten: die 
Kapuzinerpredigt aus Wallenstein's Lager war ihrem harten Confessiona- 
lismus sogar anstößig. Nach manchen schmerzlichen Enttäuschungen wurde 
  
*) K. Follen an seine Familie, 13. Jan. 1825, 19. Dec. 1826, 26. Mai 1832. 
**8) K. Follen an seine Familie, 1. Aug. 1825, 24. Aug. 1829.
	        
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