Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

K. Follen und F. Lieber in Amerika. 449 
Follen unitarischer Prediger und fand frühzeitig einen schrecklichen Tod 
an Bord eines brennenden Dampfers (1840). 
Nachhaltigen politischen Einfluß gewann aus dieser ersten Generation 
deutscher Flüchtlinge nur Einer, Franz Lieber. Er ward ein Vermittler 
zweier Nationen, indem er als Lehrer und Gelehrter, englisch schreibend 
aber deutsch denkend, die Ideen der Niebuhr'schen Geschichtsphilosophie zur 
wissenschaftlichen Begründung der Verfassungsgrundsätze Amerikas ver- 
wendete. Mochte er auch die republikanische Freiheit der neuen Heimath 
etwas überschätzen, von der gehässigen Verbitterung des Flüchtlings blieb 
sein treues Gemüth unberührt. Mitten in seinem gesegneten Wirken 
empfand er oft tief erschüttert die tragische Wahrheit, daß Niemand zwei 
Vaterländer haben kann, und sehnte sich aus der dünnen Luft dieses 
Landes der Arbeit hinweg in die Gedankenfülle der alten deutschen 
Culturwelt. 
Für das unfertige nationale Leben Nordamerikas wurde die an- 
haltende deutsche Einwanderung ein köstlicher Völkerdünger, wie der Hoch- 
muth der Yankees sagte, unschätzbar durch Fleiß und Treue, durch Tapfer- 
keit und Herzenswärme. Inmitten eines zwar minder geistvollen, aber 
wirthschaftlich rührigeren Volkes mußte die kleine deutsche Minderheit durch 
die Nationalität der Mehrheit ebenso unaufhaltsam erdrückt werden, wie 
einst die französischen Refugis im deutschen Volksthum aufgegangen waren. 
Spätestens in der dritten Generation wurden alle deutschen Einwanderer 
zu Amerikanern, wenngleich sich in einzelnen Strichen Pennsylvaniens 
neben der englischen Sprache noch ein verdorbener deutscher Dialekt be- 
hauptete. Für Deutschland aber bedeutete dies Abströmen gesunder Kräfte 
schlechthin einen Verlust, ein ohne jeden Entgelt dem Auslande dar- 
gebrachtes Geschenk. Der wagende Weltbürgersinn unseres Volks blieb auch 
jetzt, da er sich in neue Bahnen zu werfen begann, noch ebenso unfrucht- 
bar für das deutsche Staatsleben, wie vor Zeiten, als unsere Lands- 
knechte die Schlachten aller Völker schlugen. Und so lange der Bundes- 
tag über Deutschland schaltete, konnte kaum die Frage aufgeworfen werden, 
ob es nicht möglich sei den Zug der deutschen Auswanderung nach solchen 
Ländern abzulenken, wo sie der Sprache, der Sitte, der Volkswirthschaft 
des Mutterlandes nicht ganz verloren ging. 
An den Parteikämpfen der alten Heimath nahmen die Ausgewanderten 
damals unmittelbar gar keinen Antheil; um so stärker wirkte in der Stille 
was sie in ihren Briefen erzählten von dem freien Lande ohne Fürsten 
und Steuern, wo Jeder auf eigenen Füßen stehe, Jeder thun und lassen 
könne was ihm beliebe. Seit so viele Opfer des monarchischen Beamten- 
staates unter dem Sternenbanner gastliches Obdach gefunden hatten, ge- 
wannen die Doktrinen des Vernunftrechts, was die Republik für den Frei- 
staat schlechthin erklärte, neue Kraft, und Gottfried Duden fand den Boden 
schon wohl vorbereitet, als er zu Anfang der dreißiger Jahre seine über- 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 29
	        
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