458 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
langsamer überwunden wurden? Die Hungerjahre waren kaum überstanden,
da fielen die Preise aller landwirthschaftlichen Erzeugnisse schnell und an-
haltend. Die Zollgesetze des Auslands und der elende Zustand der Straßen
hemmten die Abfuhr der überreichen Ernte; selbst die technischen Fort-
schritte, welche die deutsche Landwirthschaft ihren Lehrern Thaer und
Schwerz verdankte, wirkten für jetzt nachtheilig, da die Consumtion dem
gesteigerten Angebote so rasch nicht zu folgen vermochte. Der Werth der
Grundstücke sank in manchen Landestheilen tiefer als einst zur Zeit des
Krieges. Nur die Schäfereien behaupteten sich noch; Deutschland allein
führte nach England über zweimal so viel Wolle aus als alle übrigen
Länder zusammen. Aber auch dieser Vortheil drohte zu schwinden, seit die
Fremden von uns zu lernen begannen, deutsche Hirten und Schafe in Ruß-
land, Schweden, Frankreich, Australien verwendet wurden. Am härtesten
litt das unglückliche Altpreußen; während der Kriegsjahre war mehr als die
Hälfte seines Viehstandes drauf gegangen, jetzt stand in einzelnen Gegenden
der Tagelohn auf 3 bis 4 Sgr., in anderen wurde der Scheffel
Roggen für 5 Sgr. ausgeboten. Schön's Schwager, Oberst Brünneck,
suchte den Nachbarn zu helfen durch die Einführung der Schafzucht und
anderer technischer Verbesserungen; doch nur wenige waren im Stande
sich auf neue Unternehmungen einzulassen. Auf die flehentliche Bitte der
Stände gewährte der König „dieser alten Kernprovinz“ abermals außer-
ordentliche Unterstützungen: Chausseen wurden gebaut, große Getreide-
ankäufe für die Armee angeordnet, auch Magazine angelegt, welche den
Preis des Scheffels Roggen auf der Höhe von 1 Thlr. halten sollten.)
Dann erlangte Schön noch eine neue Bewilligung von 3 Mill. Thlr.
zur Rettung verschuldeter Grundbesitzer. Als guter Patriot wollte er vor-
nehmlich die alten, mit der Geschichte des Landes verwachsenen Geschlechter
im Besitze ihrer Stammgüter erhalten. Dieselbe Meinung vertrat sein
Freund Stägemann im königlichen Cabinet; der war, obwohl ein An-
hänger der neuen Volkswirthschaftslehre, doch von jeher der Ansicht ge-
wesen, daß durch den Untergang der alten Grundbesitzer der Staat
selber zu Grunde gehe: „es scheint mir ganz simpel, weil ein anderer
Staat daraus wird.“ Aber die bewilligte Summe reichte nicht von fern
aus, obwohl sie fast den sechzehnten Theil der gesammten Staatsein-
nahmen ausmachte; zudem mußte die große Creditanstalt der Provinz,
die „Landschaft", der die bedrängten Grundherren allesammt verschuldet
waren, um jeden Preis vor dem Bankrott bewahrt werden, wenn man
nicht das ganze Land dem Verderben preisgeben wollte. Daher befahl
der König auf Schön's Vorschlag (1824), die Unterstützungsgelder zwar
zunächst zur Rettung der alten Grundherrengeschlechter zu verwenden;
*) Eingabe des Comites der ostpreußischen Stände an den König, 18. Febr.;
Cabinetsordre an das Staatsministerium, 11. April 1822.