Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Noth der ostpreußischen Grundbesitzer. 459 
wenn es aber ganz unmöglich sei, eine Familie im Besitze zu erhalten, 
dann sollte sie mit einer nothdürftigen Pension abgefunden und ihr Stamm- 
gut durch die Landschaft unter den Hammer gebracht werden.) 
Mit dieser fast unbeschränkten Vollmacht schritt Schön ans Werk. 
Das Schicksal des altpreußischen Adels lag in seiner Hand. Abermals, 
und noch stürmischer als vor Jahren bei der Vertheilung der ersten Kriegs- 
entschädigungsgelder, ) drängte sich Alles um die Gunst des Beherrschers 
der Provinz. Er that sein Bestes, viele wackere Männer vom Landadel 
verdankten allein seiner Fürsorge die Erhaltung ihres Besitzes; wo er 
aber die Lage für hoffnungslos hielt, da ließ er die Landschaft uner- 
bittlich zur Subhastation schreiten. So geschah es, daß unter der Mit- 
wirkung dieser wohlwollenden Regierung die Grafen Schlieben, die Grafen 
Goltz und viele andere angesehene Adelsgeschlechter von Haus und Hof 
verjagt wurden — die meisten schuldlos, denn der letzte Grund ihrer 
Noth lag doch in den patriotischen Opfern der Kriegszeit. Hunderte von 
Landgütern wurden versteigert, einmal ihrer 218 fast zu gleicher Zeit; das 
unmäßige Angebot drückte die Preise so tief herab, daß die Landschaft 
selber nur durch Zuschüsse des Staates sich behaupten konnte. In man- 
chen Theilen der Provinz wechselte die volle Hälfte der großen Güter 
ihren Besitzer. Zu den Käswurm, Biehler, Reichenbach und den anderen 
Salzburger Exulanten, die sich bereits in die Reihen des Grundherren- 
standes emporgearbeitet hatten, trat mit einem male eine ganze Schaar 
bürgerlicher Rittergutsbesitzer hinzu, aus dem Lande selbst, aus Meckleu- 
burg, aus Bremen, Braunschweig, Sachsen: darunter viele tüchtige Männer, 
die hier ihr Capital zu 15 Procent anlegen konnten und bald mit der 
alten Aristokratie verwuchsen, aber auch manche rohe Abenteurer, welche 
niemals auf einen grünen Zweig kamen. 
Niemand hatte unter dieser socialen Umwälzung schmerzlicher zu leiden 
als der gestrenge Oberpräsident. Thränen des Dankes sah er fließen, 
doch auch mit Verwünschungen wurde er überhäuft. In den Nachbar- 
provinzen erzählte man allgemein, der fanatische Liberale habe sich ver- 
messen, die verfaulte Rasse des preußischen Adels durch ein neues kräf- 
tigeres Geschlecht zu verdrängen. Möglich immerhin, daß Schön in seiner 
Heftigkeit einmal eine solche Aeußerung herausgepoltert hat; allein seine 
Absicht war gerecht, er wollte den alten Geschlechtern retten was noch zu 
retten war, und nur die Dürftigkeit der Geldmittel zwang ihn zu einer 
Härte, die seinen Wünschen widersprach. Wie viel erfolgreicher hatte einst 
König Friedrich nach dem siebenjährigen Kriege für die „Conservirung" 
*) Schön's Berichte an Schuckmann, 23. Aug., an den König, 6. Dec. 1824; 
Lottum, Cabinetsschreiben an Schön, 2. Juli 1825; Stägemann an Schulz, 13. Okt. 
1809; dessen Promemoria über die ostpreußischen Grundbesitzer, Juni 1825. 
**) S. o. II. 250.
	        
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