Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

492 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
Verhältnissen Kursachsens bei Weitem nicht so tief herab wie in Alt— 
württemberg, sie war noch immer so stark, daß sich Johann Georg III. 
ein stehendes Heer schaffen konnte; doch zur Beschützung der Bauern wider 
den Adel, zu durchgreifenden Neuerungen besaß sie weder die Kraft noch 
den Willen. Fast unbeweglich verharrten Gesetzgebung und Verwaltung 
in den Formen, die sie durch Kurfürst August empfangen hatten. Der— 
selbe conservative Geist beherrschte auch die Leipziger Universität, welche 
jetzt, das verfallene Wittenberg überstrahlend, für die anerkannt erste der 
deutschen Hochschulen, im Auslande für die Hauptstadt deutscher Wissen— 
schaft galt. Schwer gelehrt und vornehm erwies sie sich bei allen großen 
Umwälzungen unserer Bildung als eine Macht des Beharrens. Wie sie 
in den ersten Jahren der Reformation die Lehren Luthers bekämpft hatte, 
so war sie nunmehr die Hochburg der verhärteten lutherischen Theologie 
und jener correcten Staatsrechtsdoktrinen, welche das heilige Reich als 
die vierte Monarchie Danielis verherrlichten. Im Kampfe mit den Excel- 
lentien der Leipziger Theologenfacultät vertrat Calixtus den Gedanken der 
christlichen Union, im Kampfe mit ihnen begründete Pufendorf eine welt- 
liche Staatslehre; unter den Klängen des Armensünderglöckleins mußte 
Thomasius das Athen an der Pleiße verlassen, und als ein Trutz-Leipzig 
entstand dann in Halle die neue Universität, die Freistätte des Pietismus 
und des Naturrechts. 
Unverwüstlich aber bewahrte das Volk bei diesem Niedergange seines 
Staates die alte fröhliche Arbeitskraft. Der seltsame Gegensatz von socialer 
Rührigkeit und politischer Erstarrung blieb fortan lange der unterscheidende 
Charakterzug der kursächsischen Geschichte. Erstaunlich schnell erholte sich 
das fleißige Land von den entsetzlichen Plünderungen der Holkischen Jäger 
und der schwedischen Dragoner, trotz der Verschwendung des Hofes und 
trotz der schwerfälligen Verwaltung. Ein unschätzbarer Gewinn erwuchs 
ihm aus der Einwanderung der böhmischen Lutheraner, denen Johann 
Georg I. die Waffenhilfe versagte, aber nach der Niederlage eine Zuflucht 
gewährte; an 150,000 Exulanten strömten über das Erzgebirge hinüber, 
tapfere, thätige, in aller Noth frohmuthige Menschen, das Mark der Volks- 
kraft Böhmens. Und welch eine stolze Schaar glänzender Talente sendete 
Kursachsen jetzt in das verödete deutsche Leben hinaus. Die drei refor- 
matorischen Denker der Epoche, Pufendorf, Leibniz, Thomasius gehörten 
allesammt der Mark Meißen an. Nie zuvor hatte dieser Stamm so ent- 
scheidend eingegriffen in den Gang der nationalen Bildung, sein ver- 
fallender Staat wußte freilich mit den hellen Köpfen nichts anzufangen 
und verdrängte sie alle aus der Heimath. 
Mit unerschütterlicher Treue hing das Volk an seinem Rautenkranze, 
obwohl das Bündniß mit dem katholischen Erzhause zuweilen Unmuth 
erregte und der Name der vier Hans Jörgen im Munde des gemeinen 
Mannes einen wenig schmeichelhaften Nebensinn erhielt. Diese dynastische
	        
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