Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Die polnischen Auguste. 495 
Sklaven des Wohllebens, dem Grafen Brühl zu: „ich freie die Armuth, 
wenn sie mir zur Morgengabe Ehre bringt und Redlichkeit.“ Gleichwohl 
hat das gewissenlose Regiment der beiden polnischen Auguste in der deut— 
schen Geschichte einen bleibenden Niederschlag zurückgelassen. Der üppigste 
Hof Deutschlands war auch der geschmackvollste, August der Starke selbst 
nicht ohne einen Zug cynischer Genialität und sein Nachfolger mindestens 
so glücklich schönheitskundige Helfer zu finden. Dresden wurde der Schmuck— 
kasten des deutschen Rococostils, eine liebliche Stätte heiteren Genusses, wie 
sie die ernsthafte germanische Welt sonst kaum kannte, ein Stelldichein 
aller Nationen. In der wuchtigen Kuppel der Frauenkirche und dem präch— 
tigen Hesperidengarten des sächsischen Herkules, dem Zwinger, mit dem 
goldenen Atlas über dem Portale, verewigte sich eine Kunst, die den Em— 
pfindungen der Zeit getreuen Ausdruck gab und darum lebendig war. 
Neben den kostbaren Email-Spielereien des kursächsischen Cellini Dinglinger, 
neben den Diamantenagraffen und vergoldeten Straußeneiern und all dem 
anderen theueren Firlefanz des Grünen Gewölbes ward doch auch die 
schönste und stimmungsvollste Galerie Nordeuropas angesammelt, ein Be- 
sitzthum Deutschlands für alle Zeiten. Die Colonie der wälschen Künstler 
im Italienischen Dörschen, ernste Gelehrte wie Graf Bünau, zahlreiche 
heimische Künstler und Kenner brachten dem leichtfertigen Leben der Saxe 
galante doch so viel geistigen Gehalt, daß Winckelmann selig aufathmete, 
als er sich aus der Mark in das schöne Elbflorenz geflüchtet hatte. Die 
Eleganz der kosmopolitischen Dresdener Gesellschaft fand in diesem Lande 
der Frauenanmuth und der humanistischen Bildung dankbaren Boden. 
Weithin im Volke verbreitete sich eine Feinheit der Sitten, wie sie sonst 
nur in Ländern alter Cultur gedeiht, jene Freundlichkeit der Umgangs- 
formen, die der Sachse Lessing in seiner Minna von Barnhelm mit un- 
verhohlenem Selbstgefühl der rauhen Schroffheit der Märker entgegenstellte. 
Die norddeutschen Nachbarn, nach deutscher Art gewohnt den Splitter 
im Auge des Landsmanns aufzusuchen, hatten schon in Luthers Tagen 
das ungerechte Sprichwort „ein Meißner, ein Gleißner“ aufgebracht und 
gefielen sich jetzt darin, die wortreiche Höflichkeit der schmiegsamen und 
biegsamen Kursachsen zu verspotten. Und doch liegen im Charakter dieser 
Mitteldeutschen Jähzorn und Wohlwollen, Kraft und Feinheit dicht bei- 
sammen, ganz wie ihr Dialekt die abscheulichste Aussprache mit der größten 
grammatischen Richtigkeit verbindet. Vielleicht kein anderer Stamm im 
leidenschaftlichen Deutschland zählt so viele stürmisch aufbrausende Naturen 
wie der obersächsische. Unter der Unzahl begabter Männer, die er der 
kation geschenkt hat, finden sich zwar viele von milder, weicher, nachgiebiger 
Liebenswürdigkeit, aber daneben auch von jeher ebenso viele geborene 
Kämpfer, die, in natürlichem Rückschlage, ihr stolzes Ich rücksichtslos, 
mit leidenschaftlichem Trotz durchsetzen, kraftstrotzende Vertreter des ger- 
manischen Freimuths. So standen einst nebeneinander der friedfertige
	        
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