Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

496 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
Leibniz und die beiden unbändigen Störenfriede Pufendorf und Thoma— 
sius; so in der fridericianischen Zeit zwei typische Gestalten, dort Gellert, 
hier Lessing; so wieder in den napoleonischen Tagen dort die glatten Di— 
plomaten des Rheinbundes, hier Fichte und Theodor Körner; so noch in 
neuester Zeit unter den Gelehrten dort Lotze, hier Moritz Haupt, unter 
den Künstlern dort Rietschel und Ludwig Richter, hier Richard Wagner 
— immer in den mannigfaltigsten Formen derselbe auffällige Gegensatz und 
bei Allen doch unverkennbar die gleiche Stammesart. 
Und nicht zufällig sind jene trotzigen Naturen auf obersächsischem 
Boden erwachsen. In diesem höflichen, geduldigen Völkchen lag eine unzerstör- 
bare sittliche Widerstandskraft, die den schwersten Prüfungen Stand hielt. Von 
der scheußlichen Sittenfäulniß des Hofes wurden wohl die Residenz und 
ein Theil des Adels, vielleicht auch einzelne Kreise der Leipziger Kauf- 
mannschaft angefressen; der Bürger und Bauer ließ sich in seiner schlichten 
Ehrbarkeit nicht stören. Ebenso unverzagt wie einst nach den Zeiten der 
Schwedennoth schritt das Volk nach dem siebenjährigen Kriege alsbald 
ans Werk, um mit seinen fleißigen Händen wieder aufzubauen, was die 
Thorheit des Landesherrn zerstört hatte. Und wie mannhaft hielt das 
tapfere kleine Heer zusammen, das seit seinen ersten glänzenden Ruhmes- 
tagen, beim Entsatze von Wien, fast nur noch ein Unheil erlebt hatte und 
durch die klägliche Politik seiner Kriegsherren von einer Niederlage zur 
anderen getrieben wurde. Die schönen Mörser aus der Werkstatt des 
Dresdner Stückgießers Herold prangten jetzt als Trophäen am Ufer des 
Mälar-Sees, und die Hellebarden der kursächsischen Schweizergarde standen 
im Berliner Zeughause zu einem glitzernden Stacket zusammengestellt. 
Aber selbst nach den zerschmetternden Schlägen von Fraustadt, von Hohen- 
friedberg und Kesselsdorf war die Armee niemals ganz aus den Fugen 
gegangen, und als nach der Capitulation von Pirna Alles verloren schien, 
da waren es Benckendorf's sächsische Reiter, die bei Kollin, an Friedrich's 
Schicksalstage, die Niederlage der Preußen entschieden. Ganze Bataillone 
gefangener Sachsen verließen den erzwungenen preußischen Dienst um sich 
nach Polen zu ihrem Könige zu flüchten; auf dem westdeutschen Kriegs- 
theater fochten die Trümmer der zerschlagenen Regimenter unter franzö- 
sischem Oberbefehl weiter, und gleich nach dem Frieden stand das Heer 
wieder in leidlicher Ordnung beisammen, als sei nichts geschehen. 
Politische Köpfe konnten freilich unter solchen Fürsten nicht auf- 
kommen. Noch auffälliger sogar als in Schwaben erschien hier das Miß- 
verhältniß der politischen und der literarischen Talente. In den anderthalb 
Jahrhunderten seit der Hinrichtung Crell's trat in Kursachsen nur Einer 
auf, der den Namen eines Staatsmannes verdiente: der Boitzenburger 
Arnim, und er ward hier nie ganz heimisch. Pufendorf aber, der erste 
politische Denker des Landes, schüttelte den Staub der Heimath von seinen 
Füßen und kämpfte seinen großen Kampf für die moderne Monarchie
	        
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