Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

500 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
Und wie viel ekler Schlamm war von der wilden Zeit in den stillen 
Wässern dieses Kleinstaats aufgewühlt worden. Die Angeber und Ver— 
leumder hatten gute Tage. Wer in den jüngsten Monaten, das Land 
seinem Schicksale überlassend, mürrisch daheim geblieben war, verdächtigte 
jetzt die wackeren Offiziere und Beamten, die unter dem russischen und 
dem preußischen Gouvernement die Verwaltung geleitet hatten; sie alle 
— die Generale Vieth und Carlowitz, der Freiherr v. Miltitz-Siebeneichen 
und Andere — wurden unmöglich und mußten das Land verlassen. Nicht 
bloß ehrenwerthe alte Staatsdiener, sondern auch manche elende Denun- 
cianten erhielten den neuen Verdienstorden, den der König nach der Heim- 
kehr für seine Getreuen stiftete und mit den ebenfalls neu erfundenen 
grün-weißen Landesfarben schmückte. 
Mit der glühenden Verehrung, welche fortan diesen geschichtslosen 
Farben gewidmet wurde, verkettete sich leider unzertrennlich ein ebenso 
leidenschaftlicher Haß gegen Preußen. Unter allen Deutschen mußte es 
den Kursachsen am schwersten fallen, sich zurechtzufinden in dem Wirrsal 
unserer neuen Geschichte und ihre schöpferischen Kräfte anzuerkennen. Es 
stand nicht anders: weil Kursachsen sank, war Preußen aufgestiegen, fast 
jeder deutsche Ruhmestag der jüngsten anderthalb Jahrhunderte war eine 
Niederlage der kursächsischen Politik. Wie sollte man dies einsehen in 
einem Lande, das von der nationalen Begeisterung der jüngsten Jahre 
nur einen leisen Hauch verspürt hatte? Von den beiden streitbaren Kur- 
sachsen, welche so mächtig geholfen hatten das Feuer dieses vaterländischen 
Idealismus zu schüren, war der eine, Fichte, daheim wenig bekannt; die 
Gelehrten schätzten ihn als Philosophen, die Geistlichen entsannen sich, 
daß ihn einst das Dresdener Consistorium wegen Atheismus verklagt hatte, 
die Reden an die deutsche Nation kannte man kaum. „Der Theater- 
dichter Theodor Körner“ aber wurde wenige Tage vor seinem Tode in 
den Dresdener Blättern wegen versäumter Dienstpflicht amtlich vorge- 
laden; die gute Gesellschaft sprach nicht gern von ihm, war er doch wie 
sein Vater zu den Preußen übergelaufen. Wohl stand der Dichter von 
Leier und Schwert nicht ganz vereinsamt unter der sächsischen Jugend. 
Nach der Leipziger Schlacht meldeten sich bei der Armee manche für 
Deutschlands Freiheit schwärmende junge Männer, die längst schon danach 
verlangt hatten, unter dem Banner des heimathlichen Rautenkranzes gegen 
Frankreich zu kämpfen. Um die Jugend der höheren Stände in stärkerer 
Anzahl heranzuziehen, berief das russische Gouvernement den Banner, 
eine den Lützowern nachgebildete Freischaar, der sich neben anderen ehrlich 
Begeisterten auch der Leipziger Philosoph Krug anschloß. Indeß war die 
Theilnahme keineswegs allgemein, es fehlte der frische Zug und Schwung 
der preußischen Freiwilligen. Der Banner hatte kein Glück, er bekam den 
Feind nur hinter den Mainzer Festungswällen zu sehen. Das patrio- 
tische Unternehmen blieb ebenso unfruchtbar, wie das System der Kriegs-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.