Sächsischer Preußenhaß. 501
wissenschaft, das der schreibselige Krug auf Grund seiner unblutigen Waffen—
thaten sofort herausgab. Während Preußens gesammtes Volk für Deutsch—
land focht, verharrten viele brave junge Sachsen noch in den philisterhaften
Anschauungen des altüberlieferten Standesdünkels und vermochten den
Gedanken gar nicht zu fassen, daß ein gebildeter Mann die Flinte tragen
könne. Recht aus dem Herzen seiner Leipziger Standesgenossen heraus
schrieb der gelehrte junge Astronom Möbius im Sommer 1814: „Ich
halte es gradezu für unmöglich, daß man mich, einen habilitirten Magister
der Leipziger Universität, zum Rekruten sollte machen können. Es ist der
abscheulichste Gedanke, den ich kenne, und wer es wagen, sich unterstehen,
erkühnen, erdreisten, erfrechen sollte, der soll vor Erdolchung nicht sicher
sein. Ich gehöre ja nicht zu den Preußen, ich bin in sächsischen Diensten.“
Als nun die Landestheilung so viele altgewohnte nachbarliche Verhält—
nisse roh zerstörte, da war die Erinnerung an den Freiheitskrieg und die
Unthaten der Franzosen bald völlig vernichtet. Niemand fragte mehr,
was Preußen auch für die Befreiung Sachsens gethan; Niemand bedachte,
daß Talleyrand und Metternich die Theilung des Landes verschuldet,
Preußen sie nur widerwillig angenommen hatte. Ein maßloser Haß richtete
sich, menschlich genug, gegen den nordischen Nachbar, und er ward fast
zur Wuth, als die entsetzliche Kunde von der Lütticher Meuterei eintraf.
Der sächsische Particularismus war nicht mehr stolz, wie in den Zeiten
der Kurfürsten Moritz und August, sondern giftig, verbissen und ver—
kniffen, ganz gegen die natürliche Art des gutherzigen Stammes. Wer
ein guter Sachse war, mußte von Zeit zu Zeit einmal durch eine
kräftige Herzensergießung wider Preußen beweisen, daß der meißnische
Dialekt in der Grobheit ebenso ausdrucksvoll und wortreich ist wie in der
Höflichkeit. Lange Jahre hindurch blieb es eine sächsische Eigenthümlich—
keit, daß man dort überall gescheidte und ehrlich deutsch gesinnte Männer
traf, mit denen man über Alles vernünftig sprechen konnte, nur nicht
über Preußen.
In der ersten Zeit nach der Theilung bekundete sich diese Gesinnung
noch durch einige häßliche Libelle. So erschien ein offenbar gefälschtes
Schreiben der sächsischen Grenadiere, das den „Waffengefährten aller teut—
schen Nationen“ die „schauderhaften Verbrechen“ der preußischen „Seelen—
verkäufer“ bei Lüttich schilderte. Eine andere Flugschrift unter dem eben—
falls erfundenen Titel „Rechtfertigung des aus sächsischem in preußische
Dienste übergetretenen Raths N.“ entwickelte den sauberen Plan: die alt—
sächsischen Beamten in der Provinz Sachsen sollten unter der Hand „die
Erschlaffung sächsischer Nationalität und die Amalgamation mit Preußen“
zu verhindern suchen, um das Volk auf „die Morgenröthe besserer Tage“
vorzubereiten. „Oesterreichs Kaiserhaus hat gewiß nicht ohne den tiefsten
Schmerz jetzt dem Drange der Umstände nachgegeben und in die Er—
niedrigung der ihm befreundeten Familie gewilligt, Oesterreichs Cabinet