Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Dresden und Leipzig. 503 
und werthvollere Hälfte des Landes, die dem albertinischen Staate von 
jeher seinen Charakter gegeben hatte, blieb der Dynastie erhalten — ein 
Gebiet, lächerlich klein für die Ansprüche der neuen Königskrone, aber noch 
immer stark genug, um im Deutschen Bunde den ersten Platz hinter Baiern 
zu behaupten. Welche erstaunliche Mannigfaltigkeit der Bildung und des 
Verkehrs drängte sich hier auf engem Raume zusammen; fast an Allem 
was Deutschlands Leben ausmachte, nahm das fleißige Land seinen Antheil. 
Halb Residenz, halb Fremdenort, bewahrte sich die Hauptstadt noch fast 
unverändert die harmonische Schönheit ihrer barocken Pracht, wie einst 
da Canaletto sie malte. Der Saus und Braus jener polnischen Zeiten 
war freilich längst verklungen, nur noch selten wurden die Damen des 
Adels in altfränkischen Portechaisen zu einem Feste des ehrbaren Hofes 
aufs Schloß getragen; nur noch die Kunstschätze und die Reize der Natur 
lockten die Schaar der Fremden an die Elbe. Ein selbständiges Bürger— 
thum hatte in dieser einschläfernden Luft niemals aufkommen können. Hier 
gediehen jene göttlichen Philister, unter denen der junge Ludwig Richter 
seine lustigsten Gestalten fand: die Calculatoren und Hofssecretäre, die 
Nachmittags nach maßvoller Bureau-Arbeit mit Kind und Kegel in die 
Baumblüthe wanderten; der Kleinadel und die höheren Beamten, die im 
Frühjahr auf Sommerpläsir in ihre Loschwitzer Weinbergshäuschen zogen; 
und nicht zuletzt die Hofräthe, die ästhetischen Gelehrten vom Theater und 
von den Sammlungen, im alten Dresden ebenso angesehen wie die Ge- 
heimen Räthe im alten Berlin — allesammt ein seelenvergnügtes, ewig 
spazierengehendes Völkchen von makelloser politischer Unschuld und Zahmheit. 
Mit ähnlichen freundnachbarlichen Gefühlen wie Frankfurt auf das 
goldene Mainz, blickte das reiche Leipzig auf die höfische Nachbarin her- 
unter, der andere Pol des vielgestaltigen obersächsischen Lebens, eine Stadt 
des Bürgerthums, aller Schönheit baar, aber von Altersher mächtig durch 
die lebendige Verbindung kaufmännischer und wissenschaftlicher Thätigkeit. 
Seit dem Ausgang des siebzehnten Jahrhunderts hatte der deutsche Buch- 
handel, aus Frankfurt hinweggescheucht durch die gestrenge kaiserliche Censur, 
an der Pleiße seinen Markt aufgeschlagen; die Universität und die schrift- 
stellerische Emsigkeit der Kursachsen arbeiteten ihm in die Hände. Um 
1820 wurde fast ein Drittel aller deutschen Bücher in Leipzig gedruckt, 
jeder angesehene deutsche Verleger hielt sich dort seinen Commissionär und 
besuchte die Ostermesse. Unaufhaltsam wurden die kleinen Verleger im 
katholischen Oberlande, die bisher ihre Schul= und Andachtsbücher durch 
Reisende in die Bauernhöfe der Alpen versendet hatten, in den geordneten 
Geschäftsbetrieb des „protestantischen Buchhandels“ hineingezogen, und wie 
die Literatur einst das erste Band unserer nationalen Einheit gewesen war, 
so schuf sie jetzt auch — nicht durch die Hilfe der Bundespolizei, wie einst 
Metternich geplant, sondern frei aus eigener Kraft — die erste anerkannte 
gesammtdeutsche Corporation. Im Jahre 1824 entstand, vornehmlich
	        
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