506 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
Der greise Herr meinte alle Wünsche seines dankbaren Volkes zu erfüllen,
als er mit gewohnter Arbeitsamkeit und Geschäftskenntniß die alte Ord—
nung völlig unverändert herstellte, das verrostete Uhrwerk noch einmal
aufzog. Nun ging der Pendel wieder gemächlich hin und her, so stätig,
so eintönig, daß der preußische Gesandte immer nur über Eines berichten
konnte: über „den hier fortdauernden Mangel an Ereignissen von größerem
Interesse“.“) Unter allen Berichten der preußischen Diplomatie waren die
Dresdener die leersten.
Sofort nach der Heimkehr stellte der König die alte steife Hofetikette
wieder her, die einst den Berlinern, als er dort in Kriegsgefangenschaft
weilte, so viel Anlaß zu schnöden Witzen gegeben hatte. Wie er, durch
und durch Gewohnheitsmensch, sein schönes musikalisches Talent noch immer
auf dem alten Silbermann'schen Kielflügel übte, als wäre das Piano nicht
schon längst erfunden gewesen, so wollte er auch seinen Hof streng auf
dem Stande von 1780 erhalten und entschloß sich nur ungern, einige der
vermessenen Neuerungen, deren der russische Gouverneur Fürst Repnin sich
erdreistet, stillschweigend anzuerkennen. Der hatte die kostbare gelbblaue
Schweizergarde aufgelöst, den Großen Garten der öffentlichen Benutzung
übergeben, die Brühl'sche Terrasse durch eine Freitreppe mit dem Schloß—
platze verbunden. Diese Frevel der Fremdherrschaft ließen sich nicht mehr
rückgängig machen. Späterhin wurden sogar einige der Dresdener Kunst—
sammlungen dem Publikum geöffnet; sie waren bisher als Hofgeheimniß
behandelt und, den Eingebornen fast unbekannt, nur von einzelnen Künst—
lern und von Fremden, gegen das herkömmliche altsächsische Douceur,
besucht worden. Im Uebrigen blieb der Hof so unnahbar wie je. Tag
für Tag standen bei Tafel zwei Kammerherren hinter dem Könige, hoben
ihm erst den linken, dann den rechten Frackschoß in die Höhe und schoben
ihm den Stuhl unter; Abend für Abend erschien er mit dem gesammten
Hofstaate im Theater, wo Morlachi die italienische Oper leitete. An jedem
Wintersonntag nach der Messe harrten die wohlerzogenen Knaben der
höheren Stände in den Gängen des Schlosses, um den würdevollen Zug
der heimkehrenden „Herrschaften“ zu bewundern: voran schritt eine Schaar
von Läufern, Hoffourieren, Kammerherren und Adjutanten, dann der König
in seiner altväterischen Tracht, bezopft und gepudert, die Hände in einen
großen Muff vergraben, darauf die fast ebenso alten Prinzen Anton und
Mcx, ebenfalls mit Muffs, den Chapeau-bas unter dem Arme — ein
wundersames Schauspiel, dem nur ein Dresdener Gemüth mit ungetrübter
Andacht beiwohnen konnte. Niemals erschien der König zu Fuß in den
Straßen; das schöne sveben wiederhergestellte Denkmal seines Ahnherrn
Moritz bekam er nie zu Gesicht, weil es in den Anlagen hundert Schritt
von der Fahrstraße entfernt stand. Wollte er eine durchreisende Mena-
*) Jordan's Bericht, 12. Juli 1819ff.