Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

510 III. 7. Altständ isches Stillleben in Norddeutschland. 
allerdings dem Unwetter der neuen Zeit nicht Stand gehalten. Nachdem 
Napoleon im Posener Frieden den Katholiken die bürgerliche Gleichberech= 
tigung geschenkt, waren bald darauf die Reformirten — nicht ohne die 
landesüblichen Donceurs — derselben Gunst theilhaftig geworden. Dann 
gab der Gouverneur Repnin auch den griechischen Katholiken die Rechts- 
gleichheit, und der Leipziger Judenschaft, die bisher ihre Todten hatte nach 
Dessau fahren müssen, gestattete er mindestens sich einen eigenen Friedhof 
anzulegen. Der russische General erschien in diesem Lande, bezeichnend 
genug, überall als ein Bahnbrecher der Reform. Dabei blieb es freilich, 
daß die Juden nur in Leipzig und Dresden wohnen durften. 
Die starren Formen des alten Zunftwesens wurden durch Adel und 
Bürgerthum im Wetteifer behütet. Während die Städte beharrlich über 
den Mitbewerb der Landkrämer klagten und das Heirathen der Gesellen zu 
verhindern suchten, hielt die Ritterschaft streng darauf, baß kein Bauern- 
sohn zu einem Handwerker in die Lehre ging, wenn er nicht zuvor vier 
Jahre in der Landwirthschaft, zwei Jahre davon im Gesindedienste der 
Gutsherrschaft, verbracht hatte. Uneheliche Kinder blieben anrüchig und 
von den Zünften wie von jedem anderen ehrenhaften Erwerbe ausge- 
schlossen, falls sie nicht durch den König, gegen hohe Gebühren, legitimirt 
wurden. 
Eine durchdachte Handelspolitik war seit dem alten Kurfürsten August 
nicht mehr versucht worden. Das Mercantilsystem drang in Sachsen nie- 
mals ein und ward auch nicht vermißt, da der kräftige heimische Gewerb- 
fleiß des Schutzes entrathen konnte. Die polnischen Auguste wirthschafteten 
lustig darauf los, in dem angenehmen Wahne, daß die Verschwendung 
des Landesvaters das Geld unter die Leute bringe, und auch als die 
Ordnung dann endlich wiederkehrte, blieb dies mächtige Industrieland 
ohne geregelte Grenzbewachung. Seine Volkswirthschaftspolitik trachtete 
nur dahin, den Leipziger Messen starke Zufuhr, dem consumirenden Adel 
wohlfeile Waaren zu verschaffen. Darum wurde die Einfuhr durch einen 
sehr niedrigen Grenzzoll begünstigt, der inländische Verkehr durch Accisen 
und Geleitsgelder — in Leipzig auch noch durch das Stapelrecht und bis 
1823 durch eine lästige Thorsperre — erschwert. Die Verbrauchssteuern 
waren ungleich für Stadt und Land, die Rittergüter und die Geistlichen 
genossen mannigfache Begünstigungen. Und dies gedankenlose fiscalische 
System, das für die Lebensbedürfnisse der heimischen Industrie gar kein 
Auge hatte, pries man als die weise „sächsische Handelsfreiheit"“. Als 
nun Preußen dicht an den Grenzen des Leipziger Weichbildes seine Zoll- 
häuser errichtete, die Ausfuhr nach Norden erschwert und in manchen 
Industriezweigen der preußische Mitbewerb schon bemerklich wurde, da 
fühlte man sich freilich beunruhigt. Jedoch der Zorn richtete sich allein 
gegen Preußen, nicht gegen die väterliche Regierung, der man es auch 
geduldig nachsah, daß sie an den schweren alten Conventionsmünzen
	        
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