Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Der Landtag. 511 
eigensinnig festhielt, obgleich die leichteren preußischen Thaler längst das 
gesammte Land überschwemmt hatten. Die Industrie des Erzgebirges sah 
sich bald großentheils, die der Lausitz fast ausschließlich auf den Schmuggel 
nach Oesterreich angewiesen, und die Geschäftsleute der alten Schule fanden 
diesen Schleichhandel segensreich. Wer aber die Verwilderung des Volkes 
an der Grenze beobachtete, mußte doch bedenklich werden und besorgt fragen: 
ob man so weiter leben könne, abgetrennt von der See und dem nordi— 
schen Markte? · 
Gleich allen Institutionen dieses Staates war auch der Landtag, wie 
er gern von sich rühmte, „schon aus dem Geiste der biederen Vorzeit ent- 
sprossen"“. „Höchstdero getreue Stände, an Prälaten, Grafen und Herren, 
denen von der Ritterschaft und Städten“ — so lautete der amtliche Titel 
— waren freilich arg zusammengeschmolzen. Der erste Stand zählte seit 
der Theilung nur noch drei Köpfe. Im Stande der Ritterschaft erschienen 
alle Rittergutsbesitzer, die acht Ahnen aufweisen konnten; nur den katho- 
lischen Adelsfamilien aus Polen, Italien, Irland, welche seit dem Ueber- 
tritte der Dynastie an den Hof gekommen, wurde die deutsche Ahnenprobe 
erlassen. Die Folge war, daß reichlich drei Viertel der Rittergutsbesitzer 
nicht mehr den Landtag besuchen durften; im Leipziger Kreise, wo die 
Kaufherren der Meßstadt zahlreiche Güter angekauft hatten, waren von 
217 Rittergütern nur noch 14 landtagsfähig. Die Vertreter der Städte 
ernannte der Stadtrath allein, die Bauernschaft war gänzlich ausgeschlossen. 
Der Landtag durfte über Gesetzvorschläge nur berathen, besaß aber ein 
so wohlgesichertes Steuerbewilligungsrecht, daß er jede ernstliche Reform 
zu vereiteln vermochte; selbst August der Starke hatte nur selten gewagt, 
eine unbewilligte Auflage auszuschreiben und lieber Land und Leute an die 
Nachbarfürsten verkauft, um die Kosten seines Hofhalts zu bestreiten. In 
dem Labyrinthe dieser ständischen Steuerverwaltung wußten sich nur ver- 
einzelte Kenner zurechtzufinden. Die Grundsteuern, von denen die Ritter- 
hufen natürlich frei waren, wurden in Groschenschocken erhoben, nach Kata- 
stern aus dem 17. Jahrhundert; da aber inzwischen die nordischen, die 
schlesischen und die napoleonischen Kriege über die obersächsische Schlacht- 
ebene dahingestürmt waren, so hatte sich Manches geändert, und man fand 
neben den „gangbaren“ auch viele „moderirte, decremente, caduke und er- 
mangelnde“ Schocke. 
Der ganze Zustand war so ungeheuerlich, daß die Krone selber in 
zwei Fällen eine kleine Aenderung nicht von der Hand weisen konnte. Die 
seit Jahrzehnten vergeblich erstrebte ständische Union der Erblande mit den 
kleinen Nebenlanden ließ sich nicht länger mehr abwehren, da seit der 
Landestheilung nur noch ein Stück der Oberlausitz sowie einige Fetzen der 
Stiftslande Naumburg und Merseburg bei dem Königreiche verblieben. 
Diese Trümmerstücke wurden jetzt endlich (1817) in den Landtag der Erb- 
lande eingefügt; indeß behielt die Lausitz noch immer ihren besonderen
	        
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