Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

514 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
segen blieb aus. Um so größer die Freude, als einige Jahre darauf dem 
jungen Prinzen Johann doch noch ein Erbe geboren wurde; da standen 
begeisterte Dresdener mit Champagnerflaschen auf der Brücke und nöthigten 
jeden Vorübergehenden, mit ihnen auf den Stammhalter anzustoßen.“) Bei 
aller Unterthänigkeit ließ sich jedoch nicht mehr verkennen, daß die Unnatur 
der überlebten Staatsformen schon das gesammte Volksleben zu lähmen 
begann. Die Industrie im Erzgebirge vermochte nicht zu gesunden, und 
wenn der Glanz der Leipziger Messen sich noch hielt, so war es dafür in 
der übrigen Jahreszeit um so stiller an der Pleiße; die Landkundschaft 
gewöhnte sich bereits ihren Bedarf an Colonialwaaren über Magdeburg 
zu beziehen, weil dort keine Accise bezahlt wurde. 
Die Völker wie die Einzelnen erleben Zeiten der Unfruchtbarkeit, 
denen Alles mißlingt; eine solche Epoche war jetzt für Obersachsen ge— 
kommen, man erkannte dies an guten Köpfen sonst überreiche Land kaum 
mehr wieder. Die vormals so glänzende Hochschule war zur sächsischen 
Landesuniversität herabgesunken. Außer einer Reihe achtungswerther Fach— 
männer besaß sie zur Zeit nur zwei Gelehrte von großer, allgemein an— 
erkannter Wirksamkeit, Gottfried Hermann und den geistvollen Theologen 
Tzschirner, dann noch den wässerigen Vielschreiber Pölitz und den uner— 
müdlichen Krug, der mindestens den Muth hatte, durch freimüthiges Rügen 
öffentlicher Mißbräuche die schlummernde sächsische Welt zuweilen aufzu— 
rütteln. Nach dem Kriege hatte Graf Heinrich Vitzthum, der Gönner 
Carl Maria v. Weber's, die Hoffnung gehegt, Sachsen werde sich für den 
Verlust seiner politischen Macht in großem Sinne entschädigen und, wie 
späterhin Baiern unter König Ludwig, der Sammelplatz der deutschen 
Künste werden. Was war aus diesen stolzen Träumen geworden? Der 
Componist von Leier und Schwert erfreute sich nicht der Gunst des Hofes, 
da er des deutsch-preußischen Patriotismus verdächtig war. An den Er— 
folgen der neuen bildenden Kunst nahm Sachsen noch fast gar keinen 
Antheil, denn die jungen Talente Schnorr, Rietschel, Richter standen noch 
in den Jahren der Entwicklung. Auch Tiedge, der beschauliche Dichter 
der Urania, der, obwohl kein Landeskind, doch in Dresden als vaterlän— 
dische Größe verehrt wurde, auch die poetische Harfenspielerin Therese aus 
dem Winckell, auch Tromlitz, Nordstern und die anderen Gestirne des 
Dresdener Thee-Dichterbundes strahlten nur einen sanften Glanz über 
das Land aus. 
Mittelmäßigkeit und Verknöcherung überall; und dazu mußte man 
noch die grausame Ironie des Schicksals erleben, daß gerade der Anblick 
der preußischen Zustände den politischen Groll unter den Bürgern und 
Bauern wachrief. Mochte man die Preußen verfluchen — das ließ sich 
  
*) Berichte von Jordan, 1. Aug.; von Meyern, 15. Okt.: Witzleben's Tagebuch, 
Juli 1825; Wangenheim an Hartmann 30. April 1828.
	        
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